Haimo L. Handl
Der Fall Menasse
Man mag ihn mögen oder nicht. Menasse
schillerte, trat überall auf, wo sich ihm eine gut dotierte Gelegenheit bot,
arbeitete mit hoher finanzieller Unterstützung durch Stipendien und Zuwendungen,
die er haufenweise ergatterte, fleißig in Brüssel und Wien und in europäischen
Ländern, in Auschwitz und Paris und anderen Orten, die auf der Strecke lagen. Den
einen ging er auf den Geist, den andern war er DER europäische Agent, der
Missionar, der unermüdlich Kämpfende für Europa, für die Union.
Nach den Aufdeckungen und den überaus
peinlichen und frechen Reaktionen des Fabulierers, der ein geistiger Betrüger,
ein Täuscher, ein Lügner, ein schwätzender Gutmensch, beseelt von seiner
Mission, geworden war, wird es auch seinen Gefolgsleuten schwer werden, ihren
Menasse unbedarft zu zitieren, weil dieser bewiesen hat, dass er fake news
produziert und, wie ein Schmierenwinkeladvokat, postfaktische Fakten fabriziert
und mit dem Generalbegriff der Dichtung meint abdecken zu können. Er ist ein
Täuscher, ein Bluffer. Zu Recht ein Skandal. Eigentlich gehört er als
Textlieferant entsorgt; er ist unglaubwürdig und dreckig und frech.
Als Hauptsatz des
grinsenden Pseudoaufklärers wird man sich merken: „Was kümmert mich das
Wörtliche“ und sich dabei erinnern, dass er in einem Interview die Kritik an
seinem Umgang mit Zitaten als „künstliche Aufregung“ bezeichnet hat. Punkt.
Basta. Ein Unverbesserlicher, ein Wiederholungstäter.
Vor Kurzem kam der Spiegel-Fall Claas Relotius
an die Öffentlichkeit. Der teils oft erlogene Journalismus des Relotius wurde
begünstigt von der Redaktionslinie des SPIEGEL, Geschichten zu erzählen, nicht
nur Fakten und dürre Deutungen zu liefern. Die Grenzlinien zwischen Report,
Nachricht und Kommentar bzw. Lesestoffauffrischung (fiktionale Anreicherung)
verschwimmen bei solchen Haltungen. Man müsste sich nicht nur über Relotius
aufregen, sondern fragen, ob nicht mehr „zusammengedichtet“ ist, ob der Spiegel
nicht vom Prinzip her schon unsauber ist.
Auf das Zusammendichten beruft sich der
Schreiberling Menasse. Er will für sich und seine Bücher das Recht des
fiktional schreibenden Dichters nutzen und meint, etwas forsch und frech
formuliert, das gelte auch für Zitate, die eigentlich keine wörtlichen sind,
aber sein könnten, wenn der Zitierte noch lebte, weil in seinem Sinne usw. usf.
Er, der Autor, unterziehe sich nur der Mühe, den „wahren Sinn“ zu eruieren, und
nur deshalb lege er der zitierten Person Worte in den Mund, die ganz dem
Sinnverständnis des Zitierten entsprächen. Er, der Autor, ist quasi so etwas
wie der Gute Geist, wie Gott, der dem Toten wieder Leben mit dem wahren Sinn
einhaucht. Nur Kleingeister kleben am Buchstäblichen, Faktischen. Die
Potentialitäten des Fiktiven oder des Realistisch-fiktiven, also eigentlich des
Surrealistischen, sind ungleich höher und tiefer und weiter, weil sie die
mögliche Potentialität inkorporieren und das Denken erweitern. Deshalb
verachtet er an Fakten klebende Historiker, die ihn der Lüge oder Täuschung
ziehen, deshalb versteht er die künstlich aufgeblasene Aufregung nicht. Und,
ganz profan, er tat und tut das alles für einen guten Zweck, für ein Europa
jenseits der Nationen.
Klingt unglaubwürdig, zurechtgestutzt, um
einen erfolgreichen Autor zu diskreditieren? Lesen wir, was einige Journalisten
schrieben:
Der Ruhm der Entdeckung, dass Menasse
eine Hallstein-Legende in die Welt gesetzt hat, gebührt dem Historiker Heinrich
August Winkler. Im „Spiegel“ enthüllte er im Oktober 2017, dass Menasse aus
einer tatsächlich gehaltenen Rede Hallsteins mehrfach Sätze zitierte, die dort
nicht stehen. Eine Enthüllung, die ohne Resonanz blieb, bis die „Welt“ vor ein
paar Tagen auf die Sache zurückkam. Menasse leugnete die Erfindungen der Zitate
nicht und brachte zur Rechtfertigung zwei aberwitzige Argumente vor. Erstens
seien die Zitate dem Sinn nach korrekt. „Was fehlt, ist das Geringste: das
Wortwörtliche.“ Und zweitens sei sein freihändiger Umgang mit Quellen
tatsächlich „nicht zulässig – außer man ist Dichter und eben nicht
Wissenschaftler oder Journalist“. Aber wenn ein Dichter in einer Rede historische
Tatsachen referiert, erwartet man nicht Erdichtetes. Und bei den ausgedachten
Hallstein-Sätzen ist das Wörtliche nicht das Geringste. Menasse behauptete
nämlich mehrfach, kein Politiker würde sich heute trauen, sie wieder so zu
formulieren. (Patrick Bahners, FAZ 2.1.2019)
Man muss das langsam lesen. Einwirken lassen. Über
ein Jahr brauchte es, bis die gut informierte, gebildete Öffentlichkeit
inklusive Experten und Journalisten dem Verdacht des Historikers nachgingen. Das
heißt, das kritische Bewusstsein war und ist schon so geschwächt, dass es nicht
mehr sensibel reagiert. Es braucht schwere Geschütze. Die Abstumpfung der
halbparalysierten Intellektuellen war und ist schon so weit fortgeschritten, dass
es extremer Erschütterungen bedarf, um Aufmerksamkeit zu erregen bzw. zum
überprüfenden Nachdenken zu zwingen. Im Unterhaltungszirkus, den Personen wie Menasse
smart bedienen, setzen sich Gewohnheiten und Vorurteile, auch positive, rasch
fest, verhindern Nachdenken. Es ist wie bei facebook: es gilt die hohe Zahl,
die Quantität, das Echo; man fragt nicht mehr nach der Echokammer, nach
Details. Details ist etwas für pingelige Buchhalter. Vor allem aber fragt man nicht nach Inhalt, sondern nach Meinungen und Formen. Nochmals Patrick Bahners aus der FAZ in
seinem Schlussabsatz:
Wie soll man Menasses Bluff verstehen?
Er wirft dem europäischen Publikum das Vergessen eines Ereignisses vor, an das
es sich nicht erinnern konnte. Die Geschichte von Auschwitz als Gründungsmythos
der EU erweist sich, fachsprachlich gesprochen, als ein Fall von therapeutisch
induzierter wiedergewonnener Erinnerung, deren Fiktionalität in Kauf genommen
wird. Aber wie unterscheidet sich die Hallstein-Lüge von der Autobiographie des
Binjamin Wilkomirski alias Bruno Dössekker, der die Erinnerung an Auschwitz
wiedergewann, obwohl er nicht dort gewesen war? Es werde sich noch zeigen, dass
die Vergesslichen zum eigenen Leidwesen vergessen hätten: Menasses kryptische
Prophetie schiebt seinen Lesern die Verantwortung für seinen makabren Hoax zu.
So sehr ist der Schriftsteller am europäischen Volk verzweifelt, dass er sich
einbildete, er müsse mit dem Äußersten spielen.
Würde ein AfD-Typ das machen, ein anerkannt
rechtsgerichteter Autor, ein Sturm bräche los. Bei einem Typen wie Menasse
werden alle möglichen Erklärungen bemüht, und seine Apologeten sind zahlreich an
der Zahl. So auch Carsten Otte, der in der TAZ vom 3.1.2019 schreibt:
Was Robert
Menasse geritten hat, dem ersten Vorsitzenden der Kommission der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft Worte in den Mund zu legen, die er nie gesagt hat, was
den Schriftsteller gar dazu bewogen hat, den Hochschullehrer und CDU-Politiker
Walter Hallstein in Auschwitz auftreten zu lassen, und zwar in
nichtliterarischen Formaten, empört die historische und politische Zunft. Das
ist verständlich. Doch damit wird man den literarischen Quälgeist nicht los.
Denn selbstverständlich wird Menasse weiterhin Fiktion und Realität
verschwimmen lassen, nicht nur im Roman (was Literaturkritiker in „Die
Hauptstadt“ besonders gelobt haben), sondern auch in allem anderen, was er sagt
und schreibt. Deshalb wird er auch keine Preise zurückgeben müssen. Deshalb ist
er auch kein Lügner wie Claas Relotius, der Journalismus vorgab und nicht mal
gute Fiktion zustande brachte.
Welch feine Unterscheidung zwischen dem Lügner
Relotius und Menasse, der kein Lügner sei. Wie Qualität wieder herhalten muss
um den einen ab, den andern aufzuwerten. Und der frohlockende Befund: Der
Menasse wird nicht aufhören, er wird weiter Quälgeist bleiben, er wird weiter
Fiktion und Realität verschwimmen lassen (als ob DAS der Kritikpunkt gewesen
sei!). Es ist wie bei den Sophisten, die spitzbübisch über Nadelspitzenprobleme
dozieren. Ein wahrer Ausdruck von Gesinnungskultur. Hätte die DDR überlebt, passte
das in ihren kadergehorsamen Maßnahmenkatalog als Beitrag zur Deutung des
wahren Sinns. Die TAZ, soweit sie das unterschreibt, was ihre Schreiber so
schreiben, ist auf den Hund gekommen, geistig bankrott.
Die TAZ wäre nicht die taz, wenn sie nicht
einer Gegensicht Platz einräumte; liberaler, sauberer Journalismus sagt man. Martin
Reeh schreibt dort am 3.1.2019:
Erst vor Weihnachten, kurz nachdem die Fälschungen von Spiegel-Reporter
Claas Relotius aufflogen, kam die Debatte um Menasse ins Rollen. In der Welt
griff Ansgar Graw den Fall auf. Der Redakteur hatte ein gefälschtes
Hallstein-Zitat von Menasse ungeprüft übernommen. Winkler rief bei ihm an und
fragte nach der Quelle. Graw kontaktierte Menasse, der daraufhin freimütig die
falschen Zitate einräumte – und rechtfertigte: „Die Quelle (Römische Rede) ist
korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Die These ist
fruchtbar. Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche.“ Er habe „eine
Diskussion provoziert und einen Denkraum des Möglichen eröffnet, den es vorher
nicht gab, einfach dadurch, dass ich eine Autorität zu meinem Kronzeugen
erklärt habe, der nichts dagegen gehabt hätte“. Ulrike Guérot sagte kurz darauf
in der Welt,
sie habe zu einem gemeinsamen Artikel mit Menasse Teile beigetragen und die
Zitate im Teil Menasses nicht nachgesehen. Im Nachhinein sei es „dumm gewesen,
das nicht zu überprüfen“.
Hier liefert uns der Journalist eine kleine
Literaturkunde, wie sie die empörende Antwort des Flunkerers und Jongleurs
Menasse beinhaltet:
„Die Quelle (Römische Rede) ist korrekt. Der
Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Die These ist fruchtbar. Was fehlt,
ist das Geringste: das Wortwörtliche.“
So einfach und simpel ist das, geht das. Der
hohe, wahre Sinn rechtfertigt das falsche Zitat, das Wortwörtliche, darf als
Geringstes aber vermissbar bleiben. Er, der geschulte Dichter, habe einen
Denkraum des Möglichen eröffnet. Für diese Öffnung gebührt ihm ein
hochdotierter Preis, ein weiteres Arbeitsstipendium und der Büchnerpreis. Die
Argumentationslinie des Österreich-Clowns, der immer grinst, ist der eines
gebildeten Holocaustleugners vergleichbar. Alle,
die ihn, den Robert, jetzt kritisieren, betreiben die Sache der
Nationalisten, der Rechtsextremen. Menasse sucht in der falschen
Politisierung einen Ausweg und greift doch nur zu Mitteln der
Denunziation wie bei vielen jener, die er kritisiert. Er ist ein unreifer,
kindischer Besserwisser, ein Doppelmoralapostel. Auch ein Neonazi kann behaupten, dass er
einen Denkraum des Möglichen eröffne, dass er zu einer vertieften Diskussion
provoziere, dass er mit den Zitaten von verfemten Nazis das schlecht
informierte Publikum bilden wolle, dass das wahre Denken vor nichts halten
machen dürfe, keine Tabus akzeptieren dürfe und also das schier Undenkbare
denken müsse. Worin läge der Unterschied? Dass sich Menasse „links“ verortet,
also im Mainstream, und der andere rechts, bei den Verachteten, Verfemten? Gesinnungskultur.
Gesinnungsterror. Im Namen der guten Sache. Im Namen Europas. Wo ist der Stier,
der so einen Torero aufspießt?
Man könnte die von Menasse bemühte Technik auf
ihn selbst anwenden. Wir mischen z.B. fiktionale, literarische Aussagen, die
wir irgendwo finden und zitieren, mit eigenen Mutmaßungen, die aber, dem wahren
Sinn nach, durchaus auf Robert Menasse zutreffen oder zutreffen könnten. Wir
halten uns mit Belegen oder zitierbaren Aussagen und Dokumenten nicht auf, wir
fabrizieren das stimmige Bild. Der 1954, also noch während der Besatzungszeit,
in Wien geborene Robert Menasse hatte, wie die meisten seines Jahrganges, eine
eher schwere Zeit. Aber er schaffte den höheren Bildungsweg und promovierte bei
dem bekannten Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler mit der Arbeit „Der Typus
des Außenseiters im Literaturbetrieb. Am Beispiel Hermann Schürrer. Studie zum
eigentümlichen Verhältnis von offiziösem Literaturbetrieb und literarischem
„underground“ im Österreich der Zweiten Republik. Schon damals bemühte sich
Menasse, seinen Barockstil auch in der wissenschaftlichen Arbeit einzubauen,
weil damit die Beweisführung leichter zu bewerkstelligen war. Er biederte sich
den Underdogs an. Wie aus neuen Dokumenten ersichtlich, die über verschiedene
Kanäle nach Wien gelangten, nutzte der etwas verklemmte Menasse das
Arbeitsthema, um im sogenannten Underground nicht nur literarische
Informationen zu finden, sondern um Zugang zu Mädchen und Frauchen zu finden,
die eher freizügig und promiskuisch waren bzw. nicht immer so besoffen, wie der
Meister (Schürrer) selbst es war. So erlebte Robert seine stürmische Zeit mit
Haschisch und Alkohol und leichten Mädchen. Das Lotterleben führte ihn aber zum
Nachdenken und er erkannte bald, dass es nicht nur um Randfiguren oder Randstaaten
wie Österreich ging oder gehen durfte, sondern um Europa. Usw. Usf. Das könnte
man mit recherchierten Daten anreichern, so dass Reales, Zitierbares sich mengt
mit Irrealem. Ein Kunstwerk also. Wer will sich da mit Fakten, sogenannten Tatsachen,
aufhalten? Das Wortwörtliche ist das Geringste. Die Potentialität, dass der
Robert ein verkappter Spießer ist, ist doch die wahre Botschaft, und die gilt
es zu kaschieren, koste es, was es wolle. Man könnte auch, bei Kenntnis seiner
Bücher, Sätze von ihm montieren mit Sätzen von anderen Autoren, und so neue
Denkräume öffnen, in denen der Robert dann als Missbrauchstäter erscheint, der
die Monstranz Europa hochhält und verzückt küsst , was die Auflagen seiner
Europabücher enorm steigert und jede nachfolgende Kritik im Keim erstickt, weil
er, wie etliche andere Helden der Bourgeoisie (Kafka,
Celan etc.), als Säulenheiliger jenseits jeder Kritik west, nur noch schlecht
gelesen, aber dauernd zitiert.
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