Sonntag, 6. Januar 2019

Der Fall Menasse


Haimo L. Handl

Der Fall Menasse

Man mag ihn mögen oder nicht. Menasse schillerte, trat überall auf, wo sich ihm eine gut dotierte Gelegenheit bot, arbeitete mit hoher finanzieller Unterstützung durch Stipendien und Zuwendungen, die er haufenweise ergatterte, fleißig in Brüssel und Wien und in europäischen Ländern, in Auschwitz und Paris und anderen Orten, die auf der Strecke lagen. Den einen ging er auf den Geist, den andern war er DER europäische Agent, der Missionar, der unermüdlich Kämpfende für Europa, für die Union.

Nach den Aufdeckungen und den überaus peinlichen und frechen Reaktionen des Fabulierers, der ein geistiger Betrüger, ein Täuscher, ein Lügner, ein schwätzender Gutmensch, beseelt von seiner Mission, geworden war, wird es auch seinen Gefolgsleuten schwer werden, ihren Menasse unbedarft zu zitieren, weil dieser bewiesen hat, dass er fake news produziert und, wie ein Schmierenwinkeladvokat, postfaktische Fakten fabriziert und mit dem Generalbegriff der Dichtung meint abdecken zu können. Er ist ein Täuscher, ein Bluffer. Zu Recht ein Skandal. Eigentlich gehört er als Textlieferant entsorgt; er ist unglaubwürdig und dreckig und frech.

Als Hauptsatz  des grinsenden Pseudoaufklärers wird man sich merken: „Was kümmert mich das Wörtliche“ und sich dabei erinnern, dass er in einem Interview die Kritik an seinem Umgang mit Zitaten als „künstliche Aufregung“ bezeichnet hat. Punkt. Basta. Ein Unverbesserlicher, ein Wiederholungstäter. 

Vor Kurzem kam der Spiegel-Fall Claas Relotius an die Öffentlichkeit. Der teils oft erlogene Journalismus des Relotius wurde begünstigt von der Redaktionslinie des SPIEGEL, Geschichten zu erzählen, nicht nur Fakten und dürre Deutungen zu liefern. Die Grenzlinien zwischen Report, Nachricht und Kommentar bzw. Lesestoffauffrischung (fiktionale Anreicherung) verschwimmen bei solchen Haltungen. Man müsste sich nicht nur über Relotius aufregen, sondern fragen, ob nicht mehr „zusammengedichtet“ ist, ob der Spiegel nicht vom Prinzip her schon unsauber ist.

Auf das Zusammendichten beruft sich der Schreiberling Menasse. Er will für sich und seine Bücher das Recht des fiktional schreibenden Dichters nutzen und meint, etwas forsch und frech formuliert, das gelte auch für Zitate, die eigentlich keine wörtlichen sind, aber sein könnten, wenn der Zitierte noch lebte, weil in seinem Sinne usw. usf. Er, der Autor, unterziehe sich nur der Mühe, den „wahren Sinn“ zu eruieren, und nur deshalb lege er der zitierten Person Worte in den Mund, die ganz dem Sinnverständnis des Zitierten entsprächen. Er, der Autor, ist quasi so etwas wie der Gute Geist, wie Gott, der dem Toten wieder Leben mit dem wahren Sinn einhaucht. Nur Kleingeister kleben am Buchstäblichen, Faktischen. Die Potentialitäten des Fiktiven oder des Realistisch-fiktiven, also eigentlich des Surrealistischen, sind ungleich höher und tiefer und weiter, weil sie die mögliche Potentialität inkorporieren und das Denken erweitern. Deshalb verachtet er an Fakten klebende Historiker, die ihn der Lüge oder Täuschung ziehen, deshalb versteht er die künstlich aufgeblasene Aufregung nicht. Und, ganz profan, er tat und tut das alles für einen guten Zweck, für ein Europa jenseits der Nationen.

Klingt unglaubwürdig, zurechtgestutzt, um einen erfolgreichen Autor zu diskreditieren? Lesen wir, was einige Journalisten schrieben:

Der Ruhm der Entdeckung, dass Menasse eine Hallstein-Legende in die Welt gesetzt hat, gebührt dem Historiker Heinrich August Winkler. Im „Spiegel“ enthüllte er im Oktober 2017, dass Menasse aus einer tatsächlich gehaltenen Rede Hallsteins mehrfach Sätze zitierte, die dort nicht stehen. Eine Enthüllung, die ohne Resonanz blieb, bis die „Welt“ vor ein paar Tagen auf die Sache zurückkam. Menasse leugnete die Erfindungen der Zitate nicht und brachte zur Rechtfertigung zwei aberwitzige Argumente vor. Erstens seien die Zitate dem Sinn nach korrekt. „Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche.“ Und zweitens sei sein freihändiger Umgang mit Quellen tatsächlich „nicht zulässig – außer man ist Dichter und eben nicht Wissenschaftler oder Journalist“. Aber wenn ein Dichter in einer Rede historische Tatsachen referiert, erwartet man nicht Erdichtetes. Und bei den ausgedachten Hallstein-Sätzen ist das Wörtliche nicht das Geringste. Menasse behauptete nämlich mehrfach, kein Politiker würde sich heute trauen, sie wieder so zu formulieren. (Patrick Bahners, FAZ 2.1.2019) 

Man muss das langsam lesen. Einwirken lassen. Über ein Jahr brauchte es, bis die gut informierte, gebildete Öffentlichkeit inklusive Experten und Journalisten dem Verdacht des Historikers nachgingen. Das heißt, das kritische Bewusstsein war und ist schon so geschwächt, dass es nicht mehr sensibel reagiert. Es braucht schwere Geschütze. Die Abstumpfung der halbparalysierten Intellektuellen war und ist schon so weit fortgeschritten, dass es extremer Erschütterungen bedarf, um Aufmerksamkeit zu erregen bzw. zum überprüfenden Nachdenken zu zwingen. Im Unterhaltungszirkus, den Personen wie Menasse smart bedienen, setzen sich Gewohnheiten und Vorurteile, auch positive, rasch fest, verhindern Nachdenken. Es ist wie bei facebook: es gilt die hohe Zahl, die Quantität, das Echo; man fragt nicht mehr nach der Echokammer, nach Details. Details ist etwas für pingelige Buchhalter. Vor allem aber fragt man nicht nach Inhalt, sondern nach Meinungen und Formen. Nochmals Patrick Bahners aus der FAZ in seinem Schlussabsatz:

Wie soll man Menasses Bluff verstehen? Er wirft dem europäischen Publikum das Vergessen eines Ereignisses vor, an das es sich nicht erinnern konnte. Die Geschichte von Auschwitz als Gründungsmythos der EU erweist sich, fachsprachlich gesprochen, als ein Fall von therapeutisch induzierter wiedergewonnener Erinnerung, deren Fiktionalität in Kauf genommen wird. Aber wie unterscheidet sich die Hallstein-Lüge von der Autobiographie des Binjamin Wilkomirski alias Bruno Dössekker, der die Erinnerung an Auschwitz wiedergewann, obwohl er nicht dort gewesen war? Es werde sich noch zeigen, dass die Vergesslichen zum eigenen Leidwesen vergessen hätten: Menasses kryptische Prophetie schiebt seinen Lesern die Verantwortung für seinen makabren Hoax zu. So sehr ist der Schriftsteller am europäischen Volk verzweifelt, dass er sich einbildete, er müsse mit dem Äußersten spielen.

Würde ein AfD-Typ das machen, ein anerkannt rechtsgerichteter Autor, ein Sturm bräche los. Bei einem Typen wie Menasse werden alle möglichen Erklärungen bemüht, und seine Apologeten sind zahlreich an der Zahl. So auch Carsten Otte, der in der TAZ vom 3.1.2019 schreibt:

Was Robert Menasse geritten hat, dem ersten Vorsitzenden der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Worte in den Mund zu legen, die er nie gesagt hat, was den Schriftsteller gar dazu bewogen hat, den Hochschullehrer und CDU-Politiker Walter Hallstein in Auschwitz auftreten zu lassen, und zwar in nichtliterarischen Formaten, empört die historische und politische Zunft. Das ist verständlich. Doch damit wird man den literarischen Quälgeist nicht los. Denn selbstverständlich wird Menasse weiterhin Fiktion und Realität verschwimmen lassen, nicht nur im Roman (was Literaturkritiker in „Die Hauptstadt“ besonders gelobt haben), sondern auch in allem anderen, was er sagt und schreibt. Deshalb wird er auch keine Preise zurückgeben müssen. Deshalb ist er auch kein Lügner wie Claas Relotius, der Journalismus vorgab und nicht mal gute Fiktion zustande brachte.

Welch feine Unterscheidung zwischen dem Lügner Relotius und Menasse, der kein Lügner sei. Wie Qualität wieder herhalten muss um den einen ab, den andern aufzuwerten. Und der frohlockende Befund: Der Menasse wird nicht aufhören, er wird weiter Quälgeist bleiben, er wird weiter Fiktion und Realität verschwimmen lassen (als ob DAS der Kritikpunkt gewesen sei!). Es ist wie bei den Sophisten, die spitzbübisch über Nadelspitzenprobleme dozieren. Ein wahrer Ausdruck von Gesinnungskultur. Hätte die DDR überlebt, passte das in ihren kadergehorsamen Maßnahmenkatalog als Beitrag zur Deutung des wahren Sinns. Die TAZ, soweit sie das unterschreibt, was ihre Schreiber so schreiben, ist auf den Hund gekommen, geistig bankrott.

Die TAZ wäre nicht die taz, wenn sie nicht einer Gegensicht Platz einräumte; liberaler, sauberer Journalismus sagt man. Martin Reeh schreibt dort am 3.1.2019:

Erst vor Weihnachten, kurz nachdem die Fälschungen von Spiegel-Reporter Claas Relotius aufflogen, kam die Debatte um Menasse ins Rollen. In der Welt griff Ansgar Graw den Fall auf. Der Redakteur hatte ein gefälschtes Hallstein-Zitat von Menasse ungeprüft übernommen. Winkler rief bei ihm an und fragte nach der Quelle. Graw kontaktierte Menasse, der daraufhin freimütig die falschen Zitate einräumte – und rechtfertigte: „Die Quelle (Römische Rede) ist korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Die These ist fruchtbar. Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche.“ Er habe „eine Diskussion provoziert und einen Denkraum des Möglichen eröffnet, den es vorher nicht gab, einfach dadurch, dass ich eine Autorität zu meinem Kronzeugen erklärt habe, der nichts dagegen gehabt hätte“. Ulrike Guérot sagte kurz darauf in der Welt, sie habe zu einem gemeinsamen Artikel mit Menasse Teile beigetragen und die Zitate im Teil Menasses nicht nachgesehen. Im Nachhinein sei es „dumm gewesen, das nicht zu überprüfen“.

Hier liefert uns der Journalist eine kleine Literaturkunde, wie sie die empörende Antwort des Flunkerers und Jongleurs Menasse beinhaltet:

„Die Quelle (Römische Rede) ist korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Die These ist fruchtbar. Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche.“

So einfach und simpel ist das, geht das. Der hohe, wahre Sinn rechtfertigt das falsche Zitat, das Wortwörtliche, darf als Geringstes aber vermissbar bleiben. Er, der geschulte Dichter, habe einen Denkraum des Möglichen eröffnet. Für diese Öffnung gebührt ihm ein hochdotierter Preis, ein weiteres Arbeitsstipendium und der Büchnerpreis. Die Argumentationslinie des Österreich-Clowns, der immer grinst, ist der eines gebildeten Holocaustleugners vergleichbar. Alle, die ihn, den Robert, jetzt kritisieren, betreiben die Sache der Nationalisten, der Rechtsextremen. Menasse sucht in der falschen Politisierung einen Ausweg und greift doch nur zu Mitteln der Denunziation wie bei vielen jener, die er kritisiert. Er ist ein unreifer, kindischer Besserwisser, ein Doppelmoralapostel. Auch ein Neonazi kann behaupten, dass er einen Denkraum des Möglichen eröffne, dass er zu einer vertieften Diskussion provoziere, dass er mit den Zitaten von verfemten Nazis das schlecht informierte Publikum bilden wolle, dass das wahre Denken vor nichts halten machen dürfe, keine Tabus akzeptieren dürfe und also das schier Undenkbare denken müsse. Worin läge der Unterschied? Dass sich Menasse „links“ verortet, also im Mainstream, und der andere rechts, bei den Verachteten, Verfemten? Gesinnungskultur. Gesinnungsterror. Im Namen der guten Sache. Im Namen Europas. Wo ist der Stier, der so einen Torero aufspießt?

Man könnte die von Menasse bemühte Technik auf ihn selbst anwenden. Wir mischen z.B. fiktionale, literarische Aussagen, die wir irgendwo finden und zitieren, mit eigenen Mutmaßungen, die aber, dem wahren Sinn nach, durchaus auf Robert Menasse zutreffen oder zutreffen könnten. Wir halten uns mit Belegen oder zitierbaren Aussagen und Dokumenten nicht auf, wir fabrizieren das stimmige Bild. Der 1954, also noch während der Besatzungszeit, in Wien geborene Robert Menasse hatte, wie die meisten seines Jahrganges, eine eher schwere Zeit. Aber er schaffte den höheren Bildungsweg und promovierte bei dem bekannten Germanisten Wendelin Schmidt-Dengler mit der Arbeit „Der Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb. Am Beispiel Hermann Schürrer. Studie zum eigentümlichen Verhältnis von offiziösem Literaturbetrieb und literarischem „underground“ im Österreich der Zweiten Republik. Schon damals bemühte sich Menasse, seinen Barockstil auch in der wissenschaftlichen Arbeit einzubauen, weil damit die Beweisführung leichter zu bewerkstelligen war. Er biederte sich den Underdogs an. Wie aus neuen Dokumenten ersichtlich, die über verschiedene Kanäle nach Wien gelangten, nutzte der etwas verklemmte Menasse das Arbeitsthema, um im sogenannten Underground nicht nur literarische Informationen zu finden, sondern um Zugang zu Mädchen und Frauchen zu finden, die eher freizügig und promiskuisch waren bzw. nicht immer so besoffen, wie der Meister (Schürrer) selbst es war. So erlebte Robert seine stürmische Zeit mit Haschisch und Alkohol und leichten Mädchen. Das Lotterleben führte ihn aber zum Nachdenken und er erkannte bald, dass es nicht nur um Randfiguren oder Randstaaten wie Österreich ging oder gehen durfte, sondern um Europa. Usw. Usf. Das könnte man mit recherchierten Daten anreichern, so dass Reales, Zitierbares sich mengt mit Irrealem. Ein Kunstwerk also. Wer will sich da mit Fakten, sogenannten Tatsachen, aufhalten? Das Wortwörtliche ist das Geringste. Die Potentialität, dass der Robert ein verkappter Spießer ist, ist doch die wahre Botschaft, und die gilt es zu kaschieren, koste es, was es wolle. Man könnte auch, bei Kenntnis seiner Bücher, Sätze von ihm montieren mit Sätzen von anderen Autoren, und so neue Denkräume öffnen, in denen der Robert dann als Missbrauchstäter erscheint, der die Monstranz Europa hochhält und verzückt küsst , was die Auflagen seiner Europabücher enorm steigert und jede nachfolgende Kritik im Keim erstickt, weil er, wie etliche andere Helden der Bourgeoisie (Kafka, Celan etc.), als Säulenheiliger jenseits jeder Kritik west, nur noch schlecht gelesen, aber dauernd zitiert.


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