Samstag, 14. Oktober 2017

Übersetzen und Lesen



Cixous: Derridas Texte sind, wie die meinen, eigentlich nicht übersetzbar. So wie Lyrik nicht übersetzbar ist. Aber natürlich kann man in der Verfremdung, die durch den Wechsel der Sprache eintritt, noch etwas vom Ursprünglichen wahrnehmen. Ich bin meinen Übersetzerinnen sehr dankbar. Sie machen ihre Arbeit mit Kraft und Demut. Sie versuchen, dem Text treu zu bleiben. Aber wenn jemand mit den Signifikanten spielt, ist es unmöglich, treu zu übersetzen.
ZEIT ONLINE: Wie stellen Sie sich vor, dass Ihre Texte gelesen werden, Texte, die mit Bedeutungen spielen und vom Leser viel fordern?
Cixous: Alles Lesen braucht Übung. Immer. Je mehr man liest, umso besser wird man im Lesen. Man kann sich einbilden, dass man Shakespeare schon beim ersten Lesen verstanden hat. Aber natürlich bin ich jetzt, nachdem ich Shakespeares seit 10, 20 und mehr Jahren lese, eine viel bessere Shakespeare-Leserin als früher.
ZEIT ONLINE: Heute verliert das Lesen von Büchern immer mehr gegenüber dem Verweilen in sozialen Netzwerken, auf Nachrichtenplattformen. Gerade in Zeiten, wo sich die apokalyptischen Nachrichten jagen.
Cixous: Ja, das letzte Jahr war eine Katastrophe. Aber jetzt kommen die Leser zurück.
ZEIT ONLINE: Das ist eine Hoffnung. Tatsächlich kleben viele an ihren Smartphones, weil sie versuchen, die Welt in Zeiten von Trump und Brexit und Klimakatastrophe zu verstehen.
Cixous: Natürlich sind die Menschen fasziniert von der Apokalypse. Deswegen muss man für das Überleben des Lesens kämpfen. Man muss die Menschen daran erinnern, dass sie sich nicht vom Abgrund anziehen lassen dürfen. Sie sollten zurückkommen zu etwas, das Zeit und Vertiefung braucht und Bestand hat.

Aus: "Ich konnte die Frauenfeindlichkeit förmlich riechen", Interview: Susanne Mayer mit Hélène Cixous, ZEIT Online, 13.10.2017

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Welche Texte sind "eigentlich" übersetzbar? Wie soll man die Übersetzung eines sogenannten eigentlich unübersetzbaren Textes nennen, sind doch Cixous' oder Derridas Texte übersetzt? Kreative oder bedachte Sätze sind komplex und nicht eindeutig (ein-deutig). Aber das resultiert nicht primär aus dem Spielen mit Signifikanten, worauf Frau Cioxous so stolz ist. Dass alles Lesen Übung braucht, galt schon lange und gilt auch weiterhin. Nicht nur in Frankreich.  Lesen ist jedoch kein Allheilmittel. Immerhin haben die Generationen jener, die viel und gut lasen, dennoch nicht die Weltkriege zu verhindern gemocht, haben viele Intellektuelle kollaboriert und mit dem Ungeist gemeine, gemeinsame Sache gemacht. 

 


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