Die Lesekompetenz deutscher Schüler soll gestärkt werden, darüber herrscht Konsens. Beim Wissen um Methoden zur Leseförderung gibt es zwischen universitärer Theoriebildung und schulischer Praxis jedoch deutliche Unterschiede. Das hat der Frankfurter Deutschdidaktiker Daniel Scherf in seiner Dissertation herausgefunden. Die Arbeit wurde nun mit dem Förderpreis Deutschdidaktik ausgezeichnet.
Spätestens seit den ersten PISA-Ergebnissen ist bekannt: Die Lesekompetenz deutscher Schüler lässt zu wünschen übrig. Doch was tun Lehrer, damit Mädchen und Jungen zu kundigen Lesern werden? Denn auch in der digitalisierten Welt ist das geistige Verarbeiten von Geschriebenem nach wie vor Schlüsselkompetenz Nummer 1. Der Frankfurter Deutschdidaktiker Daniel Scherf hat untersucht, auf welches Wissen Lehrer im Leseförder-Unterricht zurückgreifen. Seine Erkenntnis: Zwischen universitärer Theoriebildung und schulischer Praxis bestehen deutliche Unterschiede. Scherfs Arbeit wurde jetzt in Basel mit dem Förderpreis Deutschdidaktik ausgezeichnet.
Klassenbibliothek und Lesekisten gehören schon seit den 80er Jahren zur Grundausstattung an Schulen – als Hilfsmittel, um Kinder zum Lesen zu motivieren. Nach PISA habe sich dann das, was unter Leseförderung verstanden wird, geändert, sagt Dr. Daniel Scherf, der derzeit als abgeordneter Gymnasiallehrer am Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik an der Goethe-Universität Frankfurt arbeitet. Man habe erkannt, dass es weniger um die Animation zum Lesen gehen müsse als vielmehr auch darum, die Ausdauer beim Lesen sowie das ‚Lesen-Können’ zu fördern.
„Leseförderung ist etwas anderes bzw. mehr als nur das Schaffen von schönen Lesegelegenheiten“, so Scherf. Nach Auffassung der universitären Deutschdidaktik muss die richtige Fördermethode je nach Schüler individuell gewählt werden. Wenn ein Schüler z. B. einen Text nicht versteht, muss er Strategien an die Hand bekommen, wie er die Lektüre in den Griff bekommen kann.
Was wissen Lehrer nun bezüglich Leseförderung? – mit dieser Frage hat sich Daniel Scherf in seiner Doktorarbeit mit dem Titel „Leseförderung aus Lehrersicht“ befasst, die nun prämiert wurde. Dafür hat er an hessischen Gesamtschulen 24 Einzelinterviews mit Lehrern geführt sowie fünf Gruppengespräche mit Teilkollegien. Er wollte hiermit u. a. herausfinden, wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der schulischen Realität wahrgenommen und umgesetzt werden. Dabei habe er nicht nur Kenntnisse über bestimmte Leseförderkonzepte abgefragt, sondern auch Kenntnisse, die aus dem nichtwissenschaftlichen Bereich stammen oder die sich aus persönlichen Erfahrungen herleiten. Gerade in Gruppengesprächen sei deutlich geworden, dass Lehrer bestimmte Konzepte wie das Lesestrategietraining oft zwar kennen, es jedoch aus einem Bauchgefühl heraus ablehnten. Auch der Einfluss des schulischen Umfelds sei hier besonders deutlich geworden.
Aus dem gesammelten Material habe er das Lehrerwissen zum Thema Leseförderung dann extrapoliert und sei zu überraschenden Ergebnissen gekommen. So gehe die Deutschdidaktik zum Beispiel davon aus, dass Leseförderung fächerübergreifend stattfinden müsse. Nach Scherf habe Leseförderung aber just dort besonders gut funktioniert, wo sich vor allem die Deutschlehrer dafür zuständig fühlen. „Insofern ist das Konzept der Fachdidaktik, Leseförderung fächerübergreifend zu denken, zwar theoretisch nachvollziehbar, in seiner schulischen Wirkung jedoch fragwürdig“, so Scherf.
Die Lehrer selbst will Scherf nicht kritisieren. Insgesamt habe er festgestellt, dass an Schulen sehr viel über das Thema nachgedacht werde.
Bei vielen Lehrern resultiere das Wissen um Leseförderung jedoch aus der Unterrichtserfahrung, aus dem Umgang mit eigenen Kindern und vielen anderen Dingen. „Das ist alles andere als Fachwissen“, sagt Scherf. Einen wissenschaftlichen Hintergrund halte er jedoch für sehr wichtig. Manche Methoden, die Kinder zum Lesen animieren sollten, wirkten nur auf leseaffine Schüler positiv. Je nach Begleitung durch den Lehrer könnten z.B. Vielleseverfahren wie „Antolin“ leseschwache Schüler insofern sogar in der Annahme bestärken, Lesen sei „nur etwas für die anderen“.
Daniel Scherf wurde in Augsburg bei Professor Dr. Klaus Maiwald promoviert und forscht seit einem Jahr am Lehrstuhl von Cornelia Rosebrock im Bereich der fachdidaktischen Leseforschung. Beim Symposion Deutschdidaktik, das von 7. Bis 11. September unter internationaler Beteiligung in Basel stattfindet, hat er den Förderpreis Deutschdidaktik erhalten.
Informationen: Dr. Daniel Scherf, Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik, Goethe-Universität Frankfurt, Tel: 069 798-32554, E-Mail:
Scherf@em.uni-frankfurt.de
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