Mittwoch, 17. August 2011

Wenn die ursprüngliche Bedeutung durchscheint

Pierre Bertaux: Hölderlin und die Französische Revolution
Frankfurt/M., 1969 (es344)

ANMERKUNGEN
II Die neue Religion
30 (S.155-161)

Darin der Satz:

"Nun wissen wir, dass bei Hölderlin, der am Quell der Sprache schöpft, die ursprüngliche Bedeutung eines Wortes immer durchblickt, oder - anders gesagt - mitklingt." (S. 156)

Das kann sehr leicht aber nicht nur ein inadäquates Verfahren sein, sondern ein intendiert falsches. Bedeutungen liegen im kurrenten Verständnis und nicht in der Wurzel. Die Bedeutung ist wie die Blüte zu sehen. Zwar bedarf es des Stammes oder Stils und der Wurzel, aber die Wurzel gäbe nie her, was die Blüte hergäbe. Auf die Wurzel zu fokussieren hieße die Blüte, die jetzige Pracht zu übersehen, gering zu schätzen. Übrigens ist es die Blüte, über welche die Fortpflanzug erfolgt. Die Bienen würden ohne Blüten verhungern. Wir Menschen, wenn wir nur etymologisch fixiert uns an den Anfängen und Wurzeln, als vermeintlich heiligen, authentischen Quellen unserer Sprache orientierten, sprachlich ebenfalls.

Bertaux zitiert anschließend an den o.a. Satz weiter:
"Hölderlin läßt in seinen Worten [...] (mehr und mehr) deren ursprünglichen Grund durchblicken, welches Verfahren schließlich zu einer Wiedergeburt der gesamten Sprache aus ihren etymologischen Wurzeln führt, bis der Dichter ein Deutsch von einer Ursprünglichkeit, Lauterkeit und Gewalt spricht, das wie ein Wunder anmutet." (Rolf Zuberbühler, Hölderlins Erneuerung der Sprache aus ihren etymologischen Ursprüngen, Berlin 1969).

Nein, diese Sicht ist nicht zu teilen. Je mehr die kurrente Bedeutung angereichert wird mit dem "Grundwasser" oder dem (Ur)Schlamm, desto unklarer wird sie. Es bedarf viel Analytik (Auseinandernehmung, Zergliederung), um das (vermeintlich) Ursprüngliche, Alte vom Gewordenen, Jetzigen zu trennen und zu erkennen.

Andererseits gilt die Gestalt, die Gesamtheit. Ähnlich wie bei einer Person: geben wir bei Beurteilung einer Persönlichkeit der frühen Kindheit den Vorzug? Vernachlässigen wir das reife Handeln zugunsten frühkindlicher Triebregungen?

Das "Ursprungsdenken" kippt allzuleicht in Mythologie, verweigert dem Entwickelten, Geänderten sein Recht, will an einem vermeintlichem "Eigentlichen" festhalten. Aber nichts bleibt, was es war, sonst wäre es nicht geworden, was es ist.


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