Haimo L. Handl
Wandlungen
1993 fand auf dem Heldenplatz in Wien die größte
Demonstration n der 2. Republik statt: das Lichtermeer. 55 Jahre früher schrien
frenetisch tausende von Österreicherinnen und Österreicher dem Führer
hysterisch jubelnd entgegen. Heute, 26 Jahre nach dem Lichtermeer, hat ein
dramatischer Wertewandel stattgefunden. Was damals unmöglich schien bzw. sofort
einen Protestaufschrei erzeugt hätte, ist politischer Alltag geworden. Die FPÖ
hat es geschafft, nicht mehr als rechtsextreme Partei wahrgenommen zu werden
und liefert laufend Attacken gegen den Rechtsstaat, gegen bisheriges
republikanisches Verständnis. All dies macht die Volkspartei möglich, die mit
ihrem jungen Kanzler eine Mehrheit der Wählerstimmen erhielt und die
rechtsextremen Umtriebe ihres Koalitionspartners voll und ganz deckt.
Wer weiß, was uns diese Konstellation in naher Zukunft noch
zumuten wird? Nachdem die Geschichtsvergessenheit besonders der jüngeren
Bevölkerung stark ist, muss Schlimmes befürchtet werden. Wie die Geschichte
lehrt, braucht es nicht immer hysterische Massen, die dem Unrecht beredten
Ausdruck verleihen. Heute muss man nicht mehr auf den Heldenplatz pilgern oder
in den Straßen Spalier stehen. Heute reichen die social media.
Jetzt wird von der FPÖ die Präventivhaft gefordert. Die
Kritik daran, der Widerspruch ist zahm. Die rechten Kräfte in der SPÖ zeigen
Bereitwilligkeit zur Kollaboration. Auch die sich modern gebenden Neos finden
kein klares Nein. Viele in der Bevölkerung finden nichts dabei. Sie haben auch
die grausigen, antisemitischen Liedtexte FPÖ-naher Burschenschaften nicht so
arg gefunden. Die Allianz der FPÖ mit Faschisten und Rechtsextremen in Europa
ist gang und gäbe. Sie wird umstandslos hingenommen.
Der Coup gegen das BVT hat zwar einen Untersuchungsausschuss
nach sich gezogen, der aber zahnlos bleibt. Es scheint, als ob die
Rechtsextremen schalten und walten können, wie sie wollen.
Die Gefahr besteht ja nicht nur darin, dass nach dem neuen
Gesetzesvorschlag gewisse Gefährder in Präventivhaft genommen werden können,
sondern dass damit ein Grundsatz unseres Rechtssystems verändert wird: es
reicht der Verdacht. Dass so ein Gesetz nicht nur gegen Asylanten, die als
gefährlich erachtet werden, angewandt werden wird, liegt auf der Hand. Es ist
ein Türöffner. Es ändert das Rechtsverständnis und das Rechtsempfinden. Wenn
das einmal für X gilt, gilt es morgen für Y und Z.
Würde ein Rechtsverständnis durchgesetzt werden können, wie
es vor rund 30 Jahren Gemeinverständnis war, müssten umgekehrt FPÖ-Mitglieder
rechtlich verfolgt und vor Gericht gestellt werden: sie gefährden den
Rechtsstaat und die Demokratie. Dass dies ungeheurlich unrealistisch sich
anhört, ist ein Resultat der gewandelten politischen Kultur, die sehr weit
rechts gerutscht ist.
Von den braven Österreicherinnen und Österreichern, die
damals dem Führer zujubelten, haben viele, sehr viele aktiv gegen die
verhassten Juden Stellung bezogen. Nein, das ist zu harmlos ausgedrückt: sie
haben aktiv an der Demütigung, an der Verfolgung, an der systematischen Tötung
freudvoll teilgenommen. Von den F-lern ist gegenwärtig zwar nichts Ähnliches zu
erwarten. Aber sie atmen den Hauch der Verfolgung, wie es typisch ist für
rabiat gewordene Spießer.
Würden wir aus der Geschichte gelernt haben, wäre das
Wahlergebnis, das uns diese Koalition von Rechten beschert hat, nicht erfolgt.
Wenn wir noch aus der Geschichte lernen, müsste die nächste Wahl sie abwählen.
Das wird nicht geschehen, weil das Nichtlernen, das Kollaborieren der
engstirnigen Profiteure stärker sein wird, weil die Linken nicht mehr links
sind, weil es keine aufrechten Republikaner mehr gibt. In ganz Europa erstarkt
der Faschismus und wird sich nicht von frommen Reden aufhalten lassen. Für
politische Taten fehlen aber die entsprechenden Parteien.
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