Samstag, 29. Dezember 2012

Carl Spittelers 88. Todestag

Carl Friedrich Georg Spitteler (Pseudonym Carl Felix Tandem; * 24. April 1845 in Liestal; † 29. Dezember 1924 in Luzern) war ein Schweizer Dichter und Schriftsteller, Kritiker und Essayist. 1919 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Wikipedia



(Abbildung Porträt Spitteler von Zeno.org )

Der auch in DRIESCH publizierende Schweizer Autor Dominik Riedo hat 2009 eine Auswahl mit Nachwort herausgegeben: Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. Lesebuch.  Verlag Pro Libro, Luzern 2009, ISBN 3-9523406-9-3

Rezension dazu im seniorweb.ch

Vortrag von Dominik Riedo "Carl Spitteler - Leben und Werk" vom 14.4.2011 als pdf hier.


From the Nobel Prize Page:

The Nobel Prize in Literature 1919 was awarded to Carl Spitteler "in special appreciation of his epic, Olympian Spring".

Carl Spitteler received his Nobel Prize one year later, in 1920. During the selection process in 1919, the Nobel Committee for Literature decided that none of the year's nominations met the criteria as outlined in the will of Alfred Nobel. According to the Nobel Foundation's statutes, the Nobel Prize can in such a case be reserved until the following year, and this statute was then applied. Carl Spitteler therefore received his Nobel Prize for 1919 one year later, in 1920.

Aus: Carl Spitteler: Lachende Wahrheiten

Von der »männlichen« Poesie

Immer von neuem erachten die prosaischen Köpfe das reine Gold der Poesie für zu weich, eines Zusatzes bedürftig, selbst dann, wenn sie theoretisch das Gegenteil lehren, ja vielleicht dann am meisten. Nachdem wir glücklich darüber hinaus sind, die Poesie mit Geist zu würzen, mit Phrasen zu drapieren, mit Tugenden zu bessern, mit Ideen zu erheben, mit Weisheit zu vertiefen, mit Nützlichkeiten breitzustrecken, fängt unversehens die leidige Arzneikunst von vorne an, und um es nicht uralt nennen zu müssen, nennt man's modern.

Eine kräftige, männliche Poesie möchten wir zur Abwechslung jetzt haben, Pepton und Hämoglobin der Muse zu schlucken geben, Eisen- und Stahlbäder sie brauchen lassen, um ihre Konstitution zu stärken. Um ein weniges, so salbten wir ihr den Mund mit Bartwasser. Brennende Fragen, rote Fahnen und mörderliche Streike sollen die roten Blutkörperchen vermehren, Schweiß und Unrat, Dialekt und Dynamit die Zuckerkrankheit austreiben. Gestern stärkelte man mit bäurischen Hemdärmeln, heute mit fabrikstädtischen Arbeiterschürzen. Diesmal aber ist es uns grimmig ernst. Wir haben uns nämlich an dem Goldschnittsirup so gründlich den Magen verdorben, daß wir nach Petroleum lechzen. Was ist prosaisch? was ist pedantisch? was ist nordnifelnebelnüchtern? was schmeckt übel? was riecht bedenklich? Her damit, auf daß wir es dichten!

Und das Ergebnis? Titanische Grimassen, ohne den mindesten Zuwachs an Kraft. Das kommt daher, daß Geschwulst und Muskel zweierlei ist, und daß einer fürchterlich schnarchen kann und doch ein Schwächling sein.

Denn was bedeutet »Kraft« in der Kunst? Nicht im Gewicht des Stoffes liegt sie, nicht in haarigen Ideen, sondern in der sieghaften Bewältigung der jeweiligen Aufgabe. Wer, was er immer unternimmt, meistert, der ist ein kräftiger Künstler. Das geht so weit, daß eine gesunde Kunst sich überhaupt niemals die Kraft zum Ziele setzt, sondern die Vollendung, in welcher neben andern guten Dingen auch die Kraft enthalten ist. Begehrt ein Zeitalter leidenschaftlich nach Kraft in der Poesie, so ist das schon ein krankhaftes Symptom, wie wenn ein bleichsüchtiges Dienstmädchen nach Salat ruft. Eisen fressen, Erde schmecken, den zersetzenden Geist unserer Zeit einatmen wollen, das sollten Zeichen von Gesundheit sein? Ich bitte um Verzeihung, das sind Zeichen der Anämie und Hysterie.

Die Kunst läßt sich nun einmal nicht legieren, und mit den Fäusten kann man nicht dichten. Und ob meinetwegen ein ganzes Zeitalter mit Milliarden von Urwählern einstimmig das Gegenteil beschlösse, so wird zwar vielleicht das Zeitalter knabenhaft, die Kunst jedoch um kein Haar männlicher werden. Denn mit dem Willen, mit Beschlüssen, mit Lärm und Geschrei läßt sich die Poesie so wenig kuranzen, wie irgend eine andere Naturpotenz. Alle Lebenskraft ist Saft und aller Saft ist weich, ja sogar im Innersten – es tut mir aufrichtig leid – ein wenig süß. Hat daher ein erbarmungswürdiges Geschlecht so viel Schleck schlucken müssen, daß es winselt »alles in der Welt, nur beileibe nichts Süßes«, gut, es gibt der Dinge und Tätigkeiten auf Erden genug, die nichts weniger als süß sind. Wohl bekomm's! Aber die Poesie selber mit sozialen Zwiebeln als sauren Hering rüsten zu wollen, diese Mayonnaise wird Euch nimmer geraten.

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