Heute fuhr und wanderte ich in die Wiener Hauptbücherei am Urban Loritz-Platz. Ein Gebäude, das besser aussieht, als es den Nutzern dienlich wäre; die Architektur bietet keine Voraussetzungen für einen ernsthaften Bibliotheksbetrieb. Darunter zähle ich unter anderem, dass man ungestört lesen kann. Also kein Lärm. Dass die Besucher die Regeln einhalten und nicht laut quasseln, rufen, kreischen etc.
Aber die Bücherei ist ein Sozialzentrum, in welchem junge und ältere Mütter mit ihren Kindern sich aufhalten. Kinder machen Lärm. Fein. Aber weshalb in der Bücherei? In Wien ist das Gebäude „offen“, das heißt, man hört alles überall. Wenn dann das ungehobelte Benehmen der Ungebildeten hinzukommt, ist man nicht mehr in einer Bibliothek, sondern in einer Lärmstätte.
Manchmal scheint mir, sie wollen der nahen Lugner City Konkurrenz machen: Hauptsache, die Jungen kommen. Die Bücherei holt sie ab, wo sie sind. Sie sind laut.
Eigentlich wollte ich nicht darüber was sagen. Aber es kam halt hoch. Es gibt auch lustige Erlebnisse, auch wenn sie eigen oder laut sind. Als ich bei einem Zeitschriftenregal etwas suche, beginnt ein Mann, über seinen Laptop gebeugt, zu reden. Zuerst vermute ich, er telefoniert. Nein. Er redet mit sich. Aber so laut, dass er alle andern in der Umgebung miteinbezieht. Sehr sozial. Plötzlich klappt er seinen Laptop zu, steht auf und redet noch lauter. Jetzt wird es fast ein Schimpfen. Das ist für mich schwer zu beurteilen, weil er als offensichtlicher Orientale in einer mir fremden Sprache spricht. Die kann leicht schimpfend klingen, während sie nur intensiv ist. Er ist in einem Dialog mit sich. Lauter Abgang. Eine Studierende, die ihn verdutzt, aber ruhig und ohne eine Bemerkung zu äußern, angesehen hatte, blickt ihm, wie ich, nach. Jetzt prustet sie mit einem Lachen los. „Ja, das gibt’s hier und noch vieles mehr.“ Prima, echt lebendig.
Ich suche das WC auf. Einige Frauen im Vorraum. Eine putzt sich umständlich die Zähne. Ihre großen Taschen liegen am Boden. Als sie fertig ist und noch umständlicher ihren Mund spült, beginnt sie zu reden. Mit sich. Das gibt’s doch nicht! Schon wieder. Dort ein Mann, hier eine Frau. Wer als nächstes? Während sie ihre Zahnbürste verstaut, redet sie in einem Schwall von Selbstgespräch weiter, ohne uns andere zu beachten. Wir sind Luft für sie, inexistent. Ich vermute aber, sie rechnet sehr wohl mit unserer Gegenwart, sonst würde sie nicht so laut reden. Zu sich könnte sie doch auch leiser reden? Vielleicht täusche ich mich. In harten Zeiten muss frau anhörend lauter werden.
Ich gehe zum Fotokopierer. Vis-a-vis sitzt eine junge, blonde, bebrillte Frau mit dunklen Strumpfhosen. Es ist heiß. Draußen und drinnen. Sie hat die Beine übereinander geschlagen. Sie liest konzentriert. Ihr gegenüber sitzt ein junges Mädchen, die jetzt aufsteht, seine Sachen zusammenklaubt und abgeht. Ein Junge setzt sich in den Sessel und blickt konzentriert auf die ihm gegenübersitzende Strumpfhosendame, die liest. Er beginnt zu lesen, aber, wie ich sehe, während ich das Buch zum Kopieren umlege, äugt er gierig auf ihren Schenkelansatz. Schöne Lektüre.
Zwei Jugendliche kommen den Gang entlang und reden überlaut. Englisch oder Amerikanisch. Auch sie sind so sozial, dass sie niemanden von ihrem Mitteilungsbedürfnis ausschließen. Einfach nett hier.
Als ich meine Kopien habe, verlasse ich die Bildungsstätte und trete auf den Vorplatz. Dort ist es, bis auf den Straßenverkehr, leiser als in der Bücherburg. Im Moment zumindest grölt kein Besoffener, kotzt kein Junky, wimmert kein geschlagenes Kind, kreischt keine Nervöse. Fast unwirklich für eine Großstadt.
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