„Wenn Sie nur wüßten, welch tiefe Abneigung Europa während dieser vier Jahre in mir hervorgerufen hat. Mein Gott, was für Vorurteile bei uns in Russland über dieses Europa herrschen! Sind denn diese Russen nicht kindisch, wenn sie glauben, dass der Preuße durch seine Schulen gesiegt habe?... Noch eine Beobachtung: hier kann das ganze Volk schreiben und lesen, aber es ist unglaublich ungebildet, dumm und stumpf und verfolgt die niedrigsten Interessen.“
Dostojewski in einem Brief 1871 an Maikow
Gut schreiben lernen. — Die Zeit des gut-Redens ist vorbei, weil die Zeit der Stadt-Culturen vorbei ist. Die letzte Gränze, welche Aristoteles der grossen Stadt erlaubte — es müsse der Herold noch im Stande sein, sich der ganzen versammelten Gemeinde vernehmbar zu machen —, diese Gränze kümmert uns so wenig, als uns überhaupt noch Stadtgemeinden kümmern, uns, die wir selbst über die Völker hinweg verstanden werden wollen. Desshalb muss jetzt ein Jeder, der gut europäisch gesinnt ist, gut und immer besser schreiben lernen: es hilft Nichts, und wenn er selbst in Deutschland geboren ist, wo man das schlecht-Schreiben als nationales Vorrecht behandelt. Besser schreiben aber heisst zugleich auch besser denken; immer Mittheilenswertheres erfinden und es wirklich mittheilen können; übersetzbar werden für die Sprachen der Nachbarn; zugänglich sich dem Verständnisse jener Ausländer machen, welche unsere Sprache lernen; dahin wirken, dass alles Gute Gemeingut werde und den Freien Alles frei stehe; endlich, jenen jetzt noch so fernen Zustand der Dinge vorbereiten, wo den guten Europäern ihre grosse Aufgabe in die Hände fällt: die Leitung und Ueberwachung der gesammten Erdcultur. — Wer das Gegentheil predigt, sich nicht um das gut-Schreiben und gut-Lesen zu kümmern — beide Tugenden wachsen mit einander und nehmen mit einander ab —, der zeigt in der That den Völkern einen Weg, wie sie immer noch mehr national werden können: er vermehrt die Krankheit dieses Jahrhunderts und ist ein Feind der guten Europäer, ein Feind der freien Geister.
Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches, 2. Band, Der Wanderer und sein Schatten
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