Eine kurze Geschichte von Louis Christian Wolff:
Im Salon lastet die Leere. Keiner der Gäste merkt die
Schwere. Das Wetter ist vergessen. Der Lärm prallt ab an den schmutzigen
Scheiben. Es ist Abend. Reklamelichter zeugen vom prosperierenden, trubeligen
Leben. Niemand spaziert. Keiner schlendert. Es wird nicht herumgelungert oder
sinnlos dagestanden. Auch wankt niemand betrunken. Keine fetten Männer halten
ihre Säcke oder glotzen blöde, wie sonst. Die plärrenden Kinder sind verstummt,
wie die Tauben, die heute nicht mehr scheißen. Der Salon ist eine Insel im
vergifteten Ozean des Alltags. Er ist Teil davon, aber dennoch anders. Kein
Bunker, trotzdem ein Schutzraum. Angepasst an die Um- und Abstände. Das alles
ist verständlich der oder dem, die Kenntnis haben. Die nicht blind sind. Die
deshalb sich in die Insel retteten. Denn diese Insel ist innen und nicht auf.
Hier rettet sich niemand rauf und drauf sondern drein und rein.
Gleich schaltet jemand das Licht an. Die Bilder werden
hochkommen, von damals, im Garten, bei Oma und Opa. Es war zwar bei Urgroßmutter
und Urgroßvater, aber alles Frühere, Alte ist Oma. Und Opa.
Anneliese ist jemand. Sie kippte den Schalter. Es ward
Licht.
Die Stille brach ab. "Ton ab", das heißt,
Ton an: Die Große Fuge in B-Dur, opus 133 von Beethoven. Das herausragende
späte Streichquartett. Nicht nur Anneliese wusste: "Beethovens
Streichquartette, und hier insbesondere die späten, sind wohl das Großartigste
und Ergreifendste, was je für diese Gattung geschrieben wurde. Die späten Quartette
stehen mit ihrer tiefgründigen Einmaligkeit geradezu wie ein Monolith in der
abendländischen Kulturlandschaft." (Michael Denhoff) Die späten Klänge zur späten Stunde hüllten die Bilder nicht sanft,
sondern rhythmisch ein. Die andere Welt war hereingebrochen.
Die kitschige Wunscherotik der Plüschkultivierten
erzählte von den vergeblichen Sehnsüchten. Gartenkultur bei Opa. Mit der Oma
und ihrer Freundin. Oma hatte sich dargeboten, ihrem Opa. Sie, Anneliese, würde
das nie machen. Oma hatte sich hingegeben. War sie erfüllt worden? Beider Leben
war hart. Opa hat sich nie nackt fotografieren lassen. Aber Oma. Hingabe. Gab
Anneliese sich hin? Wem? Nicht einmal sich selbst. Obwohl sie in keiner
Plüschkultur mehr lebte. Aber Wunscherotik hatte sie immer noch. Ihre
Wunscherotik. Ohne Park. Ohne Beethoven. Die alte Musik störte befremdlich. Sie
war den Lärm gewöhnt, die harten, pochenden Rhythmen. Die einfachen Muster. The
easy listening. Doch heute war es still draußen. Tödlich still. Sie vermisste
die Geräuschkulisse. Ludwig störte, weil er den Klangraum füllte. Beanspruchte.
Sich mit den Bildern verband, sie wusste nicht warum. Opa hatte Operetten
gehört und Oma gar nichts. Sie hatte keine Zeit dazu. Alles war falsch. Ludwig
und Oma, das ging nicht.
Anneliese blickte aus dem schmutzigen Fenster. Wie
hinter einem Gazevorhang sah sie ganz, ganz langsam einen leeren Autobus
vorbeifahren. Es war ein Rollen. Die Omabilder verwandelten sich in eine Szene
von Magritte. Anneliese musste husten. Sie wusste nicht, was zu erwarten. Es
war hoffnungslos heiter.
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