Dienstag, 14. Oktober 2014

NEUE RUNDSCHAU 125(2014)3: Finnland

Die jüngste Ausgabe, das Heft 3 / 2014, der NEUEN RUNDSCHAU ist eingelangt und liegt in unserer Bibliothek auf.

Es ist FINNLAND, dem diesjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse, gewidmet.

Im Internet ist unter dem aktuellen Heft leider noch die vorige Ausgabe Nr. 2 eingetragen.


Verlagsinformation:
Die Ausgabe zum Ehrengast der Buchmesse 2014: Finnland
Die finnische Literatur beginnt mit einer Welt aus Wellen und Gischt, woraus ein Nest gebaut werden muss für das Gedicht: die Kalevala, das Nationalepos der Finnen. Das ist lange her, aber auch heute ist Finnland eine Welt aus Wellen und Gischt und zerstreuten Inseln - und ist immer noch die Welt des Gedichts. In Finnland leben einige der aufregendsten Lyriker der Gegenwart: Post aus dem Norden zum Gastlandauftritt Finnlands - 15 Lyriker, wild, zärtlich, sonnentrunken und vom Schnee umfangen.[Fremde Anmerkung: Sogar der Verlagstexter schwelgt poetisch: sonnentrunken schneeumfangen...]

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Bemerkenswert scheint, dass finnlandschwedische Autorinnen und Autoren ausgewählt wurden, als ob finnische nicht greifbar gewesen wären oder nicht so wichtig sind ...

Die Rubrik "Carte Blanche" wird mit einem Aufsatz von Marlene Streeruwitz eröffnet: "Das verworfene Vorwort", der ursprünglich anders hieß, und zu dessen Veröffentlichung in der renommierten Zeitschrift die Autorin verlautbart: "Dieser Text sollte die Veröffentlichung des Tagebuchs einer Germanistikstudentin in Wien einleiten. Der Text wurde abgelehnt. Mit einem solchen Text könne man nicht 'die versiegelten Herzen der Leser' erreichen, hieß es."

Marlene Streeruwitz weiß, dass, nach dieser Introduktion, die Leserherzen der Rundschauleser, auch wenn versiegelt, geöffnet werden. Man muss dankbar sein den Umständen, dass Frau Steeruwitz bekannt und markttauglich ist, und die NEUE RUNDSCHAU ein "Gspür" für Qualität hat. Tatsächlich birgt der Text einige Überlegungen hermeneutischer Art in Verbindung mit Betrachtungen zum gesellschaftlichen Gefüge und daraus resultierenden Determinanten für das Verhalten und die Sprache der sich darin Bewegenden, also auch der Textarbeiter, die ihn nicht nur lesbar, sondern sogar überlegenswert machen. Befürchtete die berühmte Autorin, ohne Einleitung und Richtungsweisung wäre die "rechte Lektüre" nicht "korrekt" erfolgt?

Norman Ächtler spricht mit Michael Lentz, dem erfolgreichen, markttauglichen Literaturwissenschaftler, der auch weltbekannter Direktor des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig ist, das bei seiner Gründung 1955  Institut für Literatur hieß, 1958 den Hochschulstatus und 1959, als Krönung, den Namen "Johannes R. Becher" erhielt. Seit der Osten dem Westen gehört, in Deutschland, ist das Institut nicht mehr an die Marxistischen Lehrsätze und -programme gebunden und kann endlich frei literarisch wirken, was sich in einem ungeahnten Erfolg als Literatenschmiede äußert.
Wie wichtig das ist, äußert der berühmte ML im Gespräch: "Die angehenden Autoren (er inkludiert kultürlich die Autorinnen!) bringen in der Regel nur ein diffuses Vorverständnis mit von dem, was Gedicht und Poesie sein kann, wenn sie ins Literaturinstitut eintreten. Entsprechend zentral für meine Arbeit ist denn auch die Vermittlung des basalen Grundlagenwissens." Prima, endlich jemdand, der weiß, was es braucht! Endlich einer, der auch als Literaturprofessor sich nicht scheut, sein Alltagsdeutsch zu gebrauchen, auch in Leipzig, auch am Literaturinstitut! "Basales Grundlagenwissen", also grundlegendes Grundlagenwissen! Diese feine, kokette Spitze! Diese Ironie. Er kann noch viel mehr. Geschult, gestählt (nicht gekruppt, nein!, natürlich nicht!) in vier Poetikdozenturen, durch viele Preise ausgezeichnet, hervorgehoben und getreten worden, ist diese Leuchte der deutschen Literatur ("LddL", auch "LDDL") nocht interessanter, noch zukunftsversprechender (Jahrgang 1964) als die Romanautorin und Poetikdozentin Marlene Streeruwitz (Jahrgang 1950), denn ihm sind gewisse Eigenheiten der JUNGEN bekannter als der doch schon älteren Kollegin.
Ächtler (mit Umlaut A als Ä!) fragt nachstoßend auf Lentzens Bekenntnis: "Stoßen Sie mit Ihrer Forderung nach einer reflektierten Auseinandersetzung mit den theoretischen oder literaturgeschichtlichen Grundlagen bei den jungen Autorinnen und Autoren (ah, er ist auch formal korrekter als der Professor!) nicht manchmal auch auf Widerstand?"
ML: "Ja, mein Ansatz stößt manchmal auf Widerstand. Dann bleiben die Leute den Seminaren fern. Ich billige das denen zu, die aus einem anderen Verständnis von Literatur oder literarischem Schreiben (welch feiner Unterschied! – ein eigenes Seminar könnte man dazu abführen!) heraus damit nicht in Berührung kommen wollen. [Und wenn wer andere Beweggründe hat, billigt er es nicht zu?] Das kann man nur akzeptieren. Die Leute sind mündig."
Welch ein Fortschritt an deutschen Universitäten, auch in Leipzig! Was für ein Unterschied zum Lehrbetrieb unter Becher und Nachfolgern in Zeiten des aufrechten Bauern- und Arbeiterstaates [offiziell hieß die Deutsche Demokratische Republik "Arbeiter- und Bauernstaat", ich entschuldige meine inkorrkte Nennung aus alter Gewohnheit].  Wie nobel er von der aktiven in die passive Form wechselt, wie er verallgemeinert und verallgemeinernd festhält, "Das kann man nur akzeptieren. Die Leute sind mündig." Da kann ja nichts mehr schief gehen. Die Leute sind ja mündig.
Und so erfährt man so vieles aus dem deutschen Literaturbetrieb, dass man staunt, was die beiden Gesprächspartner auf 22 und einer drittel Seite alles auszubreiten imstande sind.

Martin Meyer, den man nicht nur in der NZZ lesen, sondern auf einigen deutschen Fernsehkanälen auch sehen und hören kann, gibt die Laudatio auf Florian Illies zur Verleihung des Ludwig-Börne-Preises wieder. Dann lesen wir des Gelobten Dankesrede.
Dann dürfen wir Ilija Trojanows Laudatio für Noam Chomsky lesen, anlässlich der Verleihung des Myschkin-Preises. Die Titelinformation ist nicht ganz korrekt, denn der heurige Preis (als Hauptpreis) ging an Jetsun Pema. Dann wurden auch zwei Ehrenpreise vergeben, einer davon an Noam Chomsky, einer an den Schweizer Privatbankier Konrad Hummler. Das soll nicht den Wert der Anerkennung schmälern, sondern nur korrekt die Fakten nennen. Eine weitere Laudation liefert Michael Hofmann: "Allenfalls im Futurperfekt", auf Peter Stamm zum Friedrich-Hölderlin-Preis 2014. Und dann Peter Stamms Dankesrede.

Diese Ausgabe der Neuen Rundschau hat es in sich: Erstes Drittel Finnlandschwedisches, zweites Drittel Moby-Dick-Kommentare und drittes Drittel  Allerlei mit vielen Preis- und Dankreden und, fast vergessen, einem verworfenen Vorwort. Ein Superangebot!

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