Die Soziolinguistin Diana Marossek untersuchte die sogenannte „Ghettosprache“. Sie gehört zu den Preisträgern des Deutschen Studienpreises der Hamburger Körber-Stiftung
„Ich schlag‘ dich krankenhausreif“ kann verkürzt werden auf „Isch mach disch urban“. Oder anstatt zu fragen „Gehen wir in das Spaßbad?“ lässt sich die Sache auf „Gehen wir Spaßbad?“ zusammenschrumpfen. Noch werden solche grammatikalischen Konstruktionen dem sogenannten „Türkendeutsch“ zugesprochen, aber in nicht allzu ferner Zukunft könnten diese reduzierten Sätze zum Standard in der Berliner Umgangssprache geworden sein. Zu diesem Ergebnis kommt Dr. Diana Marossek in ihrer Dissertation „Gehst du Bahnhof oder bist du mit Auto? Wie aus einem sozialen Stil Berliner Umgangssprache wird“.
Mit ihrer Arbeit, die sie 2013 an der TU Berlin erfolgreich verteidigte, hat sie nun im Wettbewerb um den Deutschen Studienpreis für die wichtigste Dissertation des Jahres 2014 einen zweiten Preis in der Sektion Geistes- und Kulturwissenschaften gewonnen. Vergeben wird der Deutsche Studienpreis von der Hamburger Körber-Stiftung unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Norbert Lammert. Der zweite Preis ist mit 5000 Euro dotiert. Am 2. Dezember 2014 wird der Deutsche Studienpreis in Berlin verliehen.
Ziel ihrer Dissertation war es herauszufinden, wer die als „Türkendeutsch“, „Ghettosprache“ oder „Kiezdeutsch“ in der Öffentlichkeit und den Medien stigmatisierte Sprache überhaupt spricht, wodurch sie gekennzeichnet ist, warum sich die Jugendlichen dieses Jargons bedienen und ob er in die Berliner Umgangssprache auf Dauer einfließen könnte.
Dr. Diana Marossek hat für ihre Studie insgesamt an 30 Berliner Schulen recherchiert und in 75 Unterrichtsstunden 1395 Schülerinnen und Schüler beobachtet. Ausgegeben hat sie sich als Referendarin, um den authentischen Sprachgebrauch der Jugendlichen in ihrem sozialen Umfeld untersuchen zu können. Die Schüler waren Acht- und Zehntklässler, also 13 bis 14 und 16 bis 17 Jahre alt. Studien in Testlabors oder direkte Befragungen schieden aus, um den natürlichen sprachlichen Umgang der Jugendlichen nicht zu beeinflussen.
„Charakteristisch für diesen sprachlichen Stil ist vor allem das Weglassen der Artikel und der Präpositionen, also die Kontraktionsvermeidung“, sagt Diana Marossek. Für Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund erklärt es sich daraus, dass das Türkische Artikel und Präpositionen nicht kennt. „Um aber erklären zu können, warum bei Schülern, deren Muttersprache Deutsch ist, dieser Fehler auch auftritt, habe ich mir das Phänomen der Jugendsprache angesehen“, so Marossek. Wie alle Jugendsprachen wird auch diese genutzt, um sich von den Erwachsenen abzugrenzen. Jugendsprache fungiert gerade in der Pubertät als identitätsstiftendes Instrument. „Das in den Medien vermittelte Bild des Jugendlichen aus dem Migrationsmilieu, der cool und laut ist und eine gewisse Gesetzlosigkeit verkörpert, ist ein attraktives Bild für Jugendliche deutscher Herkunft in ihrer Selbstfindungsphase. Neben Umgangsformen wird dann eben auch der Sprachstil übernommen“, sagt Diana Marossek. Aber auch das Berlinerische, für das das Weglassen des Artikels typisch ist („Bist du gerade auf Arbeit?“), identifizierte sie als einen Faktor, der die Verwendung des Ethnolekts begünstigt.
Diana Marossek ist auf das Phänomen des Weglassens der Artikel und Präpositionen zwar an allen 30 Schulen gestoßen, aber vorwiegend taucht es an Haupt- und Realschulen in den westlichen Bezirken auf. „Zudem verwenden Berliner Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren die von ihren Gleichaltrigen mit türkischem und arabischen Hintergrund gebrauchte artikel- und präpositionslose Frage- und Antwortsyntax gewohnheitsmäßig und unreflektiert“, sagt Diana Marossek, Gründerin und Geschäftsführerin des Berliner Schlehdorn Verlags. Eingesetzt werde dieses sprachliche Mittel, um sich innerhalb einer Gruppe zu profilieren, gegenüber allen anderen Gruppen abzugrenzen, zur gruppentypischen Imagepflege und von deutschen Schülern auch zur Profilierung gegenüber der türkisch-arabischen Jugendkultur beziehungsweise zur deren spielerischen Abwertung.
Für die Ost-Berliner Schulen konstatiert die 30-jährige Soziolinguistin einen stärkeren Gebrauch des Berlinerischen, jedoch gepaart mit einem problemlosen und ganz selbstverständlichen Beimischen ethnolektaler Formen. Für Marossek ist das ein Indiz, dass die reduzierte Syntax, also Sätze wie „Hast du Edding?“, „Alex, du Spast, gehst du wieder heimlich Plus?“, „Klar, man. Hinterher geh ich wieder Döner“ oder „Muss ich Quark Kirschen tun oder Kirschen Quark?“ bald auch in die Berlinische Alltagssprache Eingang finden, sozusagen sozialisiert wird. Die ebenfalls verkürzte Syntax des Berlinischen begünstigt diesen Prozess und Medien wie Werbung, Radio und Film setzen den Ethnolekt längst als stilistisches Mittel ein.
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