Aber weder Gewerkschaften noch sogenannte Links-Parteien reflektieren den Begriff "Arbeit" und die Mythen, die sich um ihn ranken. Welche Arbeit befreit wovon? Welche Arbeit ist frei, welche verordnet, aufgezwungen, genötigt? Wo beginnt Prostitution oder Sklaverei?
Hier ein paar Zitate eines Geistarbeiters oder, wie man das früher nannte, eines Kopfarbeiters:
Friedrich
Nietzsche
Menschliches
Allzumenschliches, Bd. 1, 5. Anzeichen höherer und niederer Cultur
283.
Hauptmangel der thätigen Menschen. - Den
Thätigen fehlt gewöhnlich die höhere Thätigkeit: ich meine die individuelle.
Sie sind als Beamte, Kaufleute, Gelehrte, das heisst als Gattungswesen thätig,
aber nicht als ganz bestimmte einzelne und einzige Menschen; in dieser Hinsicht
sind sie faul. - Es ist das Unglück der Thätigen, dass ihre Thätigkeit fast
immer ein Wenig unvernünftig ist. Man darf zum Beispiel bei dem geldsammelnden
Banquier nach dem Zweck seiner rastlosen Thätigkeit nicht fragen: sie ist
unvernünftig. Die Thätigen rollen, wie der Stein rollt, gemäss der Dummheit der
Mechanik. - Alle Menschen zerfallen, wie zu allen Zeiten so auch jetzt noch, in
Sclaven und Freie; denn wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat,
ist ein Sclave, er sei übrigens wer er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter,
Gelehrter.
284.
Zu Gunsten der Müssigen. - Zum Zeichen dafür,
dass die Schätzung des beschaulichen Lebens abgenommen hat, wetteifern die
Gelehrten jetzt mit den thätigen Menschen in einer Art von hastigem Genusse, so
dass sie also diese Art, zu geniessen, höher zu schätzen scheinen, als die,
welche ihnen eigentlich zukommt und welche in der That viel mehr Genuss ist.
Die Gelehrten schämen sich des otium. Es ist aber ein edel Ding um Musse und
Müssiggehen. - Wenn Müssiggang wirklich der Anfang aller Laster ist, so
befindet er sich also wenigstens in der nächsten Nähe aller Tugenden; der
müssige Mensch ist immer noch ein besserer Mensch als der thätige. - Ihr meint
doch nicht, dass ich mit Musse und Müssiggehen auf euch ziele, ihr Faulthiere?
–
285.
Die moderne
Unruhe. - Nach dem Westen zu wird die moderne Bewegtheit
immer grösser, so
dass den Amerikanern die Bewohner Europa's insgesammt sich als ruheliebende und
geniessende Wesen darstellen, während diese doch selbst wie Bienen und Wespen
durcheinander fliegen. Diese Bewegtheit wird so gross, dass die höhere Cultur
ihre Früchte nicht mehr zeitigen kann; es ist, als ob die Jahreszeiten zu rasch
auf einander folgten. Aus Mangel an Ruhe läuft unsere Civilisation in eine neue
Barbarei aus. Zu keiner Zeit haben die Thätigen, das heisst die Ruhelosen, mehr
gegolten. Es gehört desshalb zu den nothwendigen Correcturen, welche man am
Charakter der Menschheit vornehmen muss, das beschauliche Element in grossem
Maasse zu verstärken. Doch hat schon jeder Einzelne, welcher in Herz und Kopf
ruhig und stetig ist, das Recht zu glauben, dass er nicht nur ein gutes Temperament,
sondern eine allgemein nützliche Tugend besitze und durch die Bewahrung dieser
Tugend sogar eine höhere Aufgabe erfülle.
286.
Inwiefern der
thätige faul ist. - Ich glaube, dass jeder über jedes Ding, über welches
Meinungen möglich sind, eine eigene Meinung haben muss, weil er selber ein
eigenes, nur einmaliges Ding ist, das zu allen anderen Dingen eine neue, nie
dagewesene Stellung einnimmt. Aber die Faulheit, welche im Grunde der Seele des
Thätigen liegt, verhindert den Menschen, das Wasser aus seinem eigenen Brunnen
zu schöpfen. - Mit der Freiheit der Meinungen steht es wie mit der Gesundheit:
beide sind individuell, von beiden kann kein allgemein gültiger Begriff
aufgestellt werden. Das, was das eine Individuum zu seiner Gesundheit nöthig hat,
ist für ein anderes schon Grund zur Erkrankung, und manche Mittel und Wege zur
Freiheit des Geistes dürfen höher entwickelten Naturen als Wege und Mittel zur
Unfreiheit gelten.
457.
Sclaven und
Arbeiter. - Dass wir mehr Werth auf Befriedigung der Eitelkeit, als auf alles
übrige Wohlbefinden (Sicherheit, Unterkommen, Vergnügen aller Art) legen, zeigt
sich in einem lächerlichen Grade daran, dass jedermann (abgesehen von
politischen Gründen) die Aufhebung der Sclaverei wünscht und es auf's Aergste
verabscheut, Menschen in diese Lage zu bringen: während jeder sich sagen muss,
dass die Sclaven in allen Beziehungen sicherer und glücklicher leben, als der
moderne Arbeiter, dass Sclavenarbeit sehr wenig Arbeit im Verhältniss zu der
des "Arbeiters" ist. Man protestirt im Namen der
"Menschenwürde": das ist aber, schlichter ausgedrückt, jene liebe
Eitelkeit, welche das Nicht-gleich-gestelltsein, das
Oeffentlich-niedriger-geschätzt-werden, als das härteste Loos empfindet. - Der
Cyniker denkt anders darüber, weil er die Ehre verachtet: - und so war Diogenes
eine Zeitlang Sclave und Hauslehrer.
473.
Der Socialismus in
Hinsicht auf seine Mittel. - Der Socialismus ist der phantastische jüngere
Bruder des fast abgelebten Despotismus, den er beerben will; seine Bestrebungen
sind also im tiefsten Verstande reactionär. Denn er begehrt eine Fülle der
Staatsgewalt, wie sie nur je der Despotismus gehabt hat, ja er überbietet alles
Vergangene dadurch, dass er die förmliche Vernichtung des Individuums anstrebt:
als welches ihm wie ein unberechtigter Luxus der Natur vorkommt und durch ihn
in ein zweckmässiges Organ des Gemeinwesens umgebessert werden soll. Seiner
Verwandtschaft wegen erscheint er immer in der Nähe aller excessiven
Machtentfaltungen, wie der alte typische Socialist Plato am Hofe des
sicilischen Tyrannen; er wünscht (und befördert unter Umständen) den
cäsarischen Gewaltstaat dieses Jahrhunderts, weil er, wie gesagt, sein Erbe
werden möchte. Aber selbst diese Erbschaft würde für seine Zwecke nicht
ausreichen, er braucht die allerunterthänigste Niederwerfung aller Bürger vor
dem unbedingten Staate, wie niemals etwas Gleiches existirt hat; und da er
nicht einmal auf die alte religiöse Pietät für den Staat mehr rechnen darf,
vielmehr an deren Beseitigung unwillkürlich fortwährend arbeiten muss - nämlich
weil er an der Beseitigung aller bestehenden Staaten arbeitet -, so kann er
sich nur auf kurze Zeiten, durch den äussersten Terrorismus, hie und da einmal
auf Existenz Hoffnung machen. Desshalb bereitet er sich im Stillen zu Schreckensherrschaften
vor und treibt den halb gebildeten Massen das Wort "Gerechtigkeit"
wie einen Nagel in den Kopf, um sie ihres Verstandes völlig zu berauben
(nachdem dieser Verstand schon durch die Halbbildung sehr gelitten hat) und
ihnen für das böse Spiel, das sie spielen sollen, ein gutes Gewissen zu
schaffen. - Der Socialismus kann dazu dienen, die Gefahr aller Anhäufungen von
Staatsgewalt recht brutal und eindringlich zu lehren und insofern vor dem
Staate selbst Misstrauen einzuflössen. Wenn seine rauhe Stimme in das
Feldgeschrei "so viel Staat wie möglich" einfällt, so wird dieses
zunächst dadurch lärmender, als je: aber bald dringt auch das entgegengesetzte
mit um so grösserer Kraft hervor: "so wenig Staat wie möglich".
(...)
Die Arbeit bekommt immer mehr alles gute Gewissen auf ihre Seite: der Hang zur Freude nennt sich bereits 'Bedürfnis der Erholung' und fängt an, sich vor sich selber zu schämen. (...)
Friedrich Nietzsche: Musse und Müssiggang. FW 4/329; KSA (1980)3:556f
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