Lettre International Nr. 110 / Neue Ausgabe
Das neue Heft liegt in unserer Bibliothek auf!
Aus der Verlags-e-mail:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
nun
ist es soweit, heute erscheint die Herbst-Ausgabe von Lettre International, Nr. 110!
UNSERE THEMEN
Pünktlich zum Spielzeitbeginn warten wir auf mit einem Schwerpunkt zu Theater Kontrovers – Essays, Analysen und Bekenntnisse. Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner, Kritiker und Liebhaber der Bühne erlauben Blicke hinter die Kulissen: Vorhang auf! Weitere Schwerpunkte: Freiheit und Religion, Demokratie und Laizität / Ordnungen im Zerfall – ISIS, Syriens Tragödie und das „Great Game“ / Zeichenlabyrinthe – Schriftsteller im Dickicht der Dinge, in Traumszenerien, Spiegelwelten, Sperrbezirken und auf abenteuerlichen Fahrten / Texte aus Rußland, Sizilien, Indien, der Türkei und der Mittelmeerregion
Pünktlich zum Spielzeitbeginn warten wir auf mit einem Schwerpunkt zu Theater Kontrovers – Essays, Analysen und Bekenntnisse. Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner, Kritiker und Liebhaber der Bühne erlauben Blicke hinter die Kulissen: Vorhang auf! Weitere Schwerpunkte: Freiheit und Religion, Demokratie und Laizität / Ordnungen im Zerfall – ISIS, Syriens Tragödie und das „Great Game“ / Zeichenlabyrinthe – Schriftsteller im Dickicht der Dinge, in Traumszenerien, Spiegelwelten, Sperrbezirken und auf abenteuerlichen Fahrten / Texte aus Rußland, Sizilien, Indien, der Türkei und der Mittelmeerregion
KUNST
Die Künstlerin Jorinde Voigt illustriert die Ausgabe mit schwungvollen bildlichen Kompositionen: Die musikalisch aufgeladenen Arbeiten der Künstlerin konstituieren sich aus geometrischen und expressiven linearen Markierungen, aus Schrift und Zahlen, Farben und Formen und erinnern an Notationen, Diagramme oder Partituren. „Musikalische Partituren sind als konzeptionelle Setzungen Handlungsanweisungen für die Vorstellungskraft. Ich weite das Konzept der Partitur auf andere Bereiche aus.“
Die Künstlerin Jorinde Voigt illustriert die Ausgabe mit schwungvollen bildlichen Kompositionen: Die musikalisch aufgeladenen Arbeiten der Künstlerin konstituieren sich aus geometrischen und expressiven linearen Markierungen, aus Schrift und Zahlen, Farben und Formen und erinnern an Notationen, Diagramme oder Partituren. „Musikalische Partituren sind als konzeptionelle Setzungen Handlungsanweisungen für die Vorstellungskraft. Ich weite das Konzept der Partitur auf andere Bereiche aus.“
PHOTOPORTFOLIO
Der seit Jahren den existentiellen Tiefen des Menschen nachforschende französische Photograph Antoine d’Agata begleitet Menschen auf der Flucht. Eine Momentaufnahme: Odysseia.
Der seit Jahren den existentiellen Tiefen des Menschen nachforschende französische Photograph Antoine d’Agata begleitet Menschen auf der Flucht. Eine Momentaufnahme: Odysseia.
POLITIK UND RELIGION
Überraschende geistige Korrespondenzen ruft Friedrich Dieckmann zum 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung in Erinnerung: Luther bei Marx & Engels. Auch wenn Friedrich Engels in seiner Betrachtung der deutschen Bauerkriege Luther als Fürstenknecht und Verräter der damaligen plebejischen Bewegung ansieht und die Reformation als „Nationalunglück“ begreift, gilt Luther Marx und Engels zuletzt doch als früher Revolutionär, der die Augiasställe der Kirche und der deutschen Sprache ausmistete; Marx würdigt Luther als „ältesten deutschen Nationalökonom“. Welche Rolle spielte die Lutherische Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung im sich marxistisch verstehenden ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden? War die DDR eine Art Fusion von Sowjet-Sozialismus und theologisch wünschenswerter Wirtschaftsordnung à la Luther? Realisierte sie protestantische Prinzipien – industriell modifiziert und auf atheistischer Grundlage? Hätte Luther etwa nicht den drei sozialökonomischen Grundsätzen der DDR Beifall gezollt: Sichere Arbeitsplätze, bezahlbare Wohnungen, preiswerte Nahrungsmittel? Sind also die Bürger der DDR vor 25 Jahren aus einem lutherisch formierten Staat in die calvinistisch geprägte Mammonskirche des Kapitalismus geraten, wo Geld, Kredit und Zins das Leben beherrschen? Eine Spurensuche.
Überraschende geistige Korrespondenzen ruft Friedrich Dieckmann zum 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung in Erinnerung: Luther bei Marx & Engels. Auch wenn Friedrich Engels in seiner Betrachtung der deutschen Bauerkriege Luther als Fürstenknecht und Verräter der damaligen plebejischen Bewegung ansieht und die Reformation als „Nationalunglück“ begreift, gilt Luther Marx und Engels zuletzt doch als früher Revolutionär, der die Augiasställe der Kirche und der deutschen Sprache ausmistete; Marx würdigt Luther als „ältesten deutschen Nationalökonom“. Welche Rolle spielte die Lutherische Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung im sich marxistisch verstehenden ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden? War die DDR eine Art Fusion von Sowjet-Sozialismus und theologisch wünschenswerter Wirtschaftsordnung à la Luther? Realisierte sie protestantische Prinzipien – industriell modifiziert und auf atheistischer Grundlage? Hätte Luther etwa nicht den drei sozialökonomischen Grundsätzen der DDR Beifall gezollt: Sichere Arbeitsplätze, bezahlbare Wohnungen, preiswerte Nahrungsmittel? Sind also die Bürger der DDR vor 25 Jahren aus einem lutherisch formierten Staat in die calvinistisch geprägte Mammonskirche des Kapitalismus geraten, wo Geld, Kredit und Zins das Leben beherrschen? Eine Spurensuche.
„Das Massaker in der Redaktion von
Charlie Hebdo war eine Kriegserklärung an Meinungsfreiheit und Laizität, an die
Entzauberung und die Moderne und somit an die Ausgestaltung dessen, was logisch
und historisch das Fundament der Demokratie bildet.“ Der
italienische Philosoph Paolo Flores d’Arcais formuliert Elf Thesen zur Laizität. Der Ausschluß Gottes, seines Wortes und seiner Symbole
aus allen Bereichen, in denen der Staatsbürger der Hauptakteur ist, gehört für
ihn zum Wesen der Demokratie. Den Gläubigen bleiben Kirchen, Moscheen,
Synagogen und die Privatsphäre der Innerlichkeit. Die Religion ist nur
dann mit der Demokratie vereinbar, wenn sie bereit und daran gewöhnt ist, Gott
aus den staatsbürgerlichen Belangen und Konflikten auszuschließen: „Die
Einforderung von Respekt für die eigene Religion, verbunden mit der
öffentlichen Anerkennung jeder Gemeinschaft, deren Vehikel sie ist, negiert das
Individuum gerade in seinem Recht auf Häresie, auf Apostasie, auf eine
singuläre Existenz, fesselt es an die Zugehörigkeit zu einer Glaubens- und
Blutsgemeinschaft und reduziert es auf eine Funktion der Gemeinschaft.“ Ein
Plädoyer für die strikte Trennung von demokratischem Staat und religiösem
Gesetz: „Die Laizität ist für die Demokratie eine Frage von Leben und Tod.“
ORDNUNGEN IM ZERFALL – SYRIEN, ISIS, GROSSES SPIEL
Damaskus war einst der Sitz der Umayyaden-Dynastie und Kapitale des ersten islamischen Imperiums. In Syrien begann 1516 die Absorption der arabischen Welt ins Osmanische Reich; im 19. Jahrhundert erlebte die arabische Welt mit der nahda ihre kulturelle Renaissance. Nach dem Fall des Osmanischen Reiches wurde das Land französisches Mandatsgebiet und territorial zerstückelt. Teile des Libanon und die Region Mossul im heutigen Irak wurden aus Syrien herausgeschnitten. 1939 traten die Franzosen mit dem Bezirk Alexandretta 40 Prozent der Syrien verbliebenen Mittelmeerküste an die Türkei ab und reduzierte dessen Küsten auf die Provinzen Latakia und Tartus. Mit der anfänglich populären Machtergreifung von Hafiz-al-Assad entwickelten sich Autokratie und oligarchische Herrschaft. Nach der Revolte gegen das Regime seines Sohnes Baschar al-Assad seit 2011 liegt das Land heute in Trümmern. 200.000 Tote, Millionen Menschen auf der Flucht, sind das Resultat des jahrelangen, von außen geschürten Bürgerkriegs. Die Milizen von ISIS beherrschen weite Teile des Landes. Der Islamismus dominiert die bewaffnete Opposition und scheint die demokratische Revolution in Syrien gekapert zu haben. Der Arabienexperte Hugh Roberts skizziert historische Hintergründe des Geschehens und enthüllt einige unbequeme Wahrheiten: Syriens Tragödie – die gekaperte Revolution.
Damaskus war einst der Sitz der Umayyaden-Dynastie und Kapitale des ersten islamischen Imperiums. In Syrien begann 1516 die Absorption der arabischen Welt ins Osmanische Reich; im 19. Jahrhundert erlebte die arabische Welt mit der nahda ihre kulturelle Renaissance. Nach dem Fall des Osmanischen Reiches wurde das Land französisches Mandatsgebiet und territorial zerstückelt. Teile des Libanon und die Region Mossul im heutigen Irak wurden aus Syrien herausgeschnitten. 1939 traten die Franzosen mit dem Bezirk Alexandretta 40 Prozent der Syrien verbliebenen Mittelmeerküste an die Türkei ab und reduzierte dessen Küsten auf die Provinzen Latakia und Tartus. Mit der anfänglich populären Machtergreifung von Hafiz-al-Assad entwickelten sich Autokratie und oligarchische Herrschaft. Nach der Revolte gegen das Regime seines Sohnes Baschar al-Assad seit 2011 liegt das Land heute in Trümmern. 200.000 Tote, Millionen Menschen auf der Flucht, sind das Resultat des jahrelangen, von außen geschürten Bürgerkriegs. Die Milizen von ISIS beherrschen weite Teile des Landes. Der Islamismus dominiert die bewaffnete Opposition und scheint die demokratische Revolution in Syrien gekapert zu haben. Der Arabienexperte Hugh Roberts skizziert historische Hintergründe des Geschehens und enthüllt einige unbequeme Wahrheiten: Syriens Tragödie – die gekaperte Revolution.
Die
türkische Sema Kaygusuz
erinnert sich an ein bestimmtes Schweigen ihrer redseligen Großmutter: „Die
Sterne am Himmel stellte sie neben die Steine auf dem Boden, Meer neben
Gebirge, See neben Wüste und mich neben einen Feigenbaum. Sie erklärte mir, die
Feige in ihrem Garten sei meine Schwester. Dieser sprudelnden Übermittlung zum
Trotz erwähnte sie kein einziges Mal die Massaker, die sie 1937 und 1938 in
Dersim miterlebt hatte. Warum? Was beschweigt ein Mensch, wenn er wie ein
Wasserfall redet?“ Über die Ohnmacht der etablierten Sprache, das Erlebte
artikulieren zu können, über Schuldgefühle, Opfernarrative und den Wunsch, in
der Sprache der Feigen schreiben zu können. Erinnerung an ein Verbrechen an Alewiten und Kurden in
der Türkei.
Pankaj Mishra nimmt den Siegeszug von ISIS zum Anlaß, das weltweite
Umsichgreifen von Gewalt, Zynismus und Unzufriedenheit zu betrachten. Ein
Großteil der globalen Gewalt entsteht nicht etwa aus religiösen, kulturellen,
theologischen oder ideologischen Differenzen sondern aus viel umfassenderen
Frustrationen, die mit dem Empfinden der Kluft zwischen den Freiheit- und
Gleichheitsversprechungen des Westens und der faktischen Ohnmacht und
Ausweglosigkeit vieler Menschen zu tun haben. Die Energien des postkolonialen
Idealismus haben sich verflüchtigt. Politische Sackgassen und ökologische
Schocks werden im planetarischen Maßstab sichtbar. Die Phantasie eines
transnationalen Kalifats entfesselt das vorhandene Ressentiment gegen den
Status quo. Ein anderer Blick auf ISIS.
Das Große Spiel und die Entstehung dieser berühmten Figur
weltstrategischen Denkens zeichnet Alfred McCoy nach. 1904 hielt Sir Halford Mackinder vor
der Royal Geographical Society in London einen Vortrag über den
„Geographischen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte“. Scharfsinnig
identifizierte er die ungeheure Landmasse von Euro-Asien zum Epizentrum des
Planeten und sein Herzland von 6.400 Kilometern zwischen dem Persischem Golf
und dem Ostsibirischem Meer zum strategischen Zentrum der Weltbeherrschung. „Wer
das Herzland regiert, regiert die Welt-Insel“, so Mackinder. „Wer die
Welt-Insel regiert, gebietet über die Welt.“ Mackinders These vom
Kausalzusammenhang zwischen Geographie und Weltbeherrschung und vom Kampf um
die Beherrschung der „Saumländer“ dieses Herzlandes analysierte die Imperative
des „Great Game“. War es im 19. und 20. Jahrhundert der Kampf um Suprematie
zwischen Seemacht und Landmacht, zwischen Britischem Empire und Rußland, welche
die Weltpolitik prägte, so kristallisiert sich mit der Konkurrenz zwischen den
Vereinigten Staaten und China heute eine neue Rivalitätsachse.
ZEICHENLABYRINTHE
„Ein Umzug ist die brutalste Abrechnung mit dem Sinn, nicht nur mit dem dieser zum Umgestelltwerden verurteilten Gegenstände, das Umsiedeln ist der letzte Moment, das Jüngste Gericht, ein Schritt zur Hölle, weit seltener zur paradiesischen Heiterkeit des Neuen.“ Bora Ćosić zieht um. Ausnahmezustand, Belagerungszustand! Schuhlöffel, Korkenzieher, Bretter mit Garderobenhaken, Griffe, Holz, Blech und Plastik lösen sich aus der gewohnten Ordnung. Und bieten Anlaß zum Staunen: „Die Bücher sind schwer und hart, nicht einmal die zarteste Lyrik hat etwas vom Schweben, alles fällt, stürzt, wehrt sich dagegen, in den Verbanntenwaggon meines Umzugs hineingestopft zu werden.“ Einzelne Bände warten in sklavischer Aneinanderreihung auf den endlosen Regalen, diesem polizeilichen Regulativ der Bibliothekare und Bibliophilen! Doch die Bibliothek ist zum Exodus verdammt. „Ich bekomme selbst Lust, meine wertvollsten Bücher aus dem Fenster zu werfen, auf die Straße, nur damit mein Martyrium aufhört ... In meinem Innern verfluche ich leise die Gewohnheit der Schwerkraft ...“ Eingespielte Beziehungen werden auf den Kopf gestellt: Ordnung des Umzugs, Unordnung der Dinge.
„Ein Umzug ist die brutalste Abrechnung mit dem Sinn, nicht nur mit dem dieser zum Umgestelltwerden verurteilten Gegenstände, das Umsiedeln ist der letzte Moment, das Jüngste Gericht, ein Schritt zur Hölle, weit seltener zur paradiesischen Heiterkeit des Neuen.“ Bora Ćosić zieht um. Ausnahmezustand, Belagerungszustand! Schuhlöffel, Korkenzieher, Bretter mit Garderobenhaken, Griffe, Holz, Blech und Plastik lösen sich aus der gewohnten Ordnung. Und bieten Anlaß zum Staunen: „Die Bücher sind schwer und hart, nicht einmal die zarteste Lyrik hat etwas vom Schweben, alles fällt, stürzt, wehrt sich dagegen, in den Verbanntenwaggon meines Umzugs hineingestopft zu werden.“ Einzelne Bände warten in sklavischer Aneinanderreihung auf den endlosen Regalen, diesem polizeilichen Regulativ der Bibliothekare und Bibliophilen! Doch die Bibliothek ist zum Exodus verdammt. „Ich bekomme selbst Lust, meine wertvollsten Bücher aus dem Fenster zu werfen, auf die Straße, nur damit mein Martyrium aufhört ... In meinem Innern verfluche ich leise die Gewohnheit der Schwerkraft ...“ Eingespielte Beziehungen werden auf den Kopf gestellt: Ordnung des Umzugs, Unordnung der Dinge.
Der
Grandseigneur des italienischen Kriminalromans, Andrea
Camilleri, Erfinder des legendären Comissario Montalbano,
ist nunmehr neunzig Jahre alt geworden. Er spricht mit Frank
Helbert und Gabriella
Vitello über den Zustand Italiens, die Geschichte
von West- und Ostsizilien, die Wurzeln der Mafia und deren Modernisierung, den
langwierigen Kampf der Justiz gegen die Malavita, sowie über das
verlotterte Italien und die einst wundervolle Idee von Europa, das seine Ideale
und Prinzipien in einem Krieg von allen gegen alle zu verlieren droht: Weniger auf Geld hören!
Vladimir
Nabokov zählte Franz Kafkas vor 100 Jahren erschienene Erzählung Die
Verwandlung zu den Meisterwerken der Moderne. Formstrenge und
Durchsichtigkeit des Stils verbinden sich mit einer Alptraumthematik. Wurde die
unglaubliche Insektengeschichte um die körperlichen Metamorphosen des
Käfer-Menschen und die seelischen Transformationen seiner Familie von Ideen des
Kubismus inspiriert, die über die Prager Künstlergruppen importiert wurden?
Inspirierten Pablo Picassos Gemälde Demoiselles d’Avignon und Dame in
Grün sowie Paul Cézannes Dame mit Pelz mittelbar erzählerische
Entsprechungen? Perspektivwechsel, biomorphe Deformation, Erforschung des Raums
aus verschiedenen Blickwinkeln, Zerlegung des Objekts, vieles spricht dafür,
daß Kafka kubistische Verzerrungen als Reflex emotionaler oder geistiger
Disposition verstand und erzählerisch einsetzte. In Gespräche mit Kafka
berichtet Gustav Janouch vom Besuch einer Ausstellung mit Picasso-Gemälden:
Stilleben und rosa Frauen mit riesigen Füßen. „Das ist ein mutwilliger
Deformator“, meinte ich. „Das glaube ich nicht“, sagte Kafka. „Er notiert bloß
die Verunstaltungen, die noch nicht in unser Bewußtsein gedrungen sind.“ Kubismus als Inspiration – eine Spurensuche von Detlev Schöttker
Stunden mit Borges verbrachte der englische Schriftsteller Nicholas Shakespeare und erinnert sich, wie
er als Sechzehnjähriger in Buenos Aires dem blinden Bibliothekar und berühmten
Schriftsteller aus Texten der Weltliteratur vorlesen durfte. „Borges ist
ebenso geschickt darin, das gesamte Universum in eine einzige Nußschale zu
pressen, die man in seiner Hand halten kann, wie darin, es zu einem
Spiegellabyrinth auszudehnen, in dem der Erzähler unendlich oft reflektiert
wird, ohne je zu wissen, welches der vervielfältigten Bilder das wahre
Spiegelbild ist, wenn es überhaupt eines gibt: „Es gibt keine Behauptung, die
nicht das gesamte Universum impliziert; zu sagen ‘der Tiger’ heißt von den
Tigern zu sprechen, die ihn gezeugt haben, dem Wild und den Schildkröten die
von ihm verschlungen worden sind, dem Gras, von dem sich das Wild ernährt hat,
die Erde, die das Gras hervorgebracht hat, dem Himmel, der die Erde hat
entstehen lassen.“ Aufzeichnungen über Shakespeare, Kipling, Homer und
Bruce Chatwin, über Zeit, Unendlichkeit und Metaphysik, über magische
Präzision, die Liebe zum Phantastischen und Duelle in der Nachtluft.
Es
regiert der Kalte Krieg. Die kleine Olga lebt im Rhythmus des oft abwesenden
Vaters, nicht ahnend, daß er eine Raketenabschußtechnik für U-Boote
konstruiert, die auch für Weltraumraketen benutzt wurde. Gehörte der Vater zum
Personal des legendären, mysteriösen Weltraumbahnhofs in Plessezk?
Rechnertechnik der Breschnjew-Ära, kasernierte Forscher, Ingenieursarbeit in
einem geheimen militärisch-industriellen Komplex. Olga
Slawnikowa gibt intime Einblicke in die Auflösung der
Sowjetunion durch wache Kinderaugen: Papa ist ein Alien.
Nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als der nach Amerika zurückgekehrte Henry
Miller die USA durchreiste und einen Klimatisierten Alptraum erlebte und
Jack Kerouac Unterwegs war, um Frauen, Rausch und Jazz zu erleben, war
auch Georg Stefan Troller „On the Road“: Nach seiner Demobilisierung 1946 mischte er sich unter Tramper, Hobos, Drifters, Wanderer und Vagabunden, durchquerte
Arizona, Kalifornien, Texas, die Black Mountains, Reservate der Navajo und
Hopi, Mexiko und Guatemala, auf den Spuren von D. H. Lawrence, Upton Sinclair,
John Huston, Jack London und B. Traven. Er öffnet seinen Koffer der
Erinnerungen.
THEATER KONTROVERS
Die gesamte Theaterlandschaft befindet sich in einer Umbruchphase. Der Stellenwert der Literatur des Theaters verfällt rapide, im Namen der Authentizität werden endlose Angriffe auf die Mimesis und die Techniken der Repräsentation geführt. Konnten im 20. Jahrhundert Künstlertheater wie sie sich mit den Namen Grotowski, Brecht, Stein, Brook und Mnouchkine und anderen verbinden, durch Zeit und Raum strahlende Leuchttürme der Schauspielkunst errichten, scheinen diese Tage des anhaltenden Glanzes im 21. Jahrhundert für immer verflogen. Und doch werden die Sehnsucht nach Verwandlung und das Glück der Metamorphose den Menschen weiterhin begleiten und ihm in noch unausgeloteten Möglichkeitsräumen wieder vorangehen: Essays, Analysen und Bekenntnisse
Die gesamte Theaterlandschaft befindet sich in einer Umbruchphase. Der Stellenwert der Literatur des Theaters verfällt rapide, im Namen der Authentizität werden endlose Angriffe auf die Mimesis und die Techniken der Repräsentation geführt. Konnten im 20. Jahrhundert Künstlertheater wie sie sich mit den Namen Grotowski, Brecht, Stein, Brook und Mnouchkine und anderen verbinden, durch Zeit und Raum strahlende Leuchttürme der Schauspielkunst errichten, scheinen diese Tage des anhaltenden Glanzes im 21. Jahrhundert für immer verflogen. Und doch werden die Sehnsucht nach Verwandlung und das Glück der Metamorphose den Menschen weiterhin begleiten und ihm in noch unausgeloteten Möglichkeitsräumen wieder vorangehen: Essays, Analysen und Bekenntnisse
Der
spanische Shakespeare-Experte Andreu Jaume widmet
sich Shakespeares Macht: Ungeheuer
ist dessen Fähigkeit, in seinen Figuren zu verschwinden, ohne einer Macht,
einer Ideologie, einer Religion zu dienen. Seine Werke haben Könige, Prinzen
und Fürstenberater als Protagonisten, dramatisieren Staatsfehden, Verrat,
Verschwörung, Lossagungen, doch statt einer Nähe zur Monarchie trägt
Shakespeare Verachtung für Konventionen zur Schau. Er verbindet sich mit
keinerlei Weltanschauung, sondern bringt den Menschen angesichts des Menschen
zum Staunen: „The Play’s is the thing ...“. Der Dichter huldigt einem
anthropologischen Realismus: der Erkenntnis der Menschennatur. Mit gleicher
Intensität feiert und verurteilt er die Welt. Statt der Macht, die beherrschen
will, favorisiert er eine andere Eminenz: die virtuellen Möglichkeiten des
Menschen, sein Privileg der Vorstellungskraft und des Denkens.
Shakespeares
legendären Zeitgenossen porträtiert Heathcote Williams: Christopher
Marlowes Leben und Tod. Im elisabethanischen England bedeutete Freidenkertum
Subversion, Atheismus kam einem Kapitalverbrechen gleich. Marlowe, ketzerischer
Freigeist und kraftvoller Dramatiker, zog die Wissenschaft dem Aberglauben vor,
riskierte Leben und Freiheit, um Tyrannei und Korruption zu verspotten und
wurde vermutlich ermordet. Seine Theaterstücke sind Naturgewalten, sein Doktor
Faustus inspirierte über Goethe hinaus die Dramatiker vieler Jahrhunderte.
Er „brach ein in die elisabethanische Nacht wie ein Komet und wurde jäh zu
Boden geworfen“.
Der
Traum einer perfekten Theaterinszenierung kollidiert stets erneut mit den
Wandlungen, dem Verschleiß, den Abweichungen, denen ein vollendetes Werk in der
Praxis unterliegt. Der Versuch absoluter Beherrschung, der Konservierung einer
vollkommenen Aufführung, bleibt vergeblich. In Perfektion verliebte Utopisten –
Gordon Craig, der späte Brecht, Tadeusz Kantor, Robert Wilson oder Ingmar
Bergmann – sind getrieben vom Verlangen nach einem Werk und einer dauerhaften
künstlerischen Signatur, doch müssen sie in ihrem Versuch nach unverrückbaren
Inszenierungen letztlich scheitern. Zu unberechenbar ist das Spannungsfeld
dieser Kunst des Augenblicks eingebettet zwischen Ordnung und Unvorhersehbarem,
zwischen der Autorität des Regisseurs und der Kreativität von Gruppe, Bühne und
Publikum. Georges Banu erkennt
in der Kunst der Unvollendung das
Wesen des Theaters. Eine Tour d’horizon durch die Theatergeschichte.
Dieter Dorn, Regisseur und ehemaliger Intendant der Münchner
Kammerspiele und des Residenztheaters, verkörpert die hohe Zeit des
Sprech- und Literaturtheaters. Seine vielfach ausgezeichneten Inszenierungen
umspannen den Kanon der dramatischen Literatur. Im Dialog mit Frank M. Raddatz
erinnert er sich an seine Arbeit mit Botho Strauß, Thomas Bernhard und Peter
Handke, erzählt von Sternstunden und Entdeckungsreisen, den Geheimnissen der
Regie, der Figur und des Ensembles sowie dem bleibenden Potential des Modells
Stadttheater. Gegenwelten erschaffen!
Bernd Stegemann, Theatertheoretiker, erinnert an Max Reinhardts Idee des Künstlertheaters,
das die Kunst des Schauspielens und des Ensembles, die dramatische Interaktion
der Figuren statt des einzelnen Virtuosen ins Zentrum rückte. Später
entwickelte sich mit dem Regietheater eine einsame Machtfülle des Regisseurs,
die den Schauspieler vom autonomen Künstler zum abhängig Beschäftigten werden
ließ. Heute halten Managerintendanten, Kuratoren Vernetzungskünstler der
„creative industry“ Einzug ins Theater. Wohin entwickeln sich Drama und
Schauspielkunst? Hat das deutsche Theatersystem mit seinem dichten Netz von
Staats- und Stadttheatern Zukunft? Künstlertheater Jetzt!
„Tanz
und Theater verwertbar zu machen, daran wird heute gearbeitet: Theater als
Beute. Tanz als Beute“. Aber als „Ornament am Arsch des Kapitalismus“
wollte der überraschend verstorbene Bühnenbildner Bert
Neumann das Theater gerade nicht verstanden wissen: „Mich hat am Theater immer
interessiert, daß es nicht ums Verkaufen geht, daß man Sachen schafft, die
unverkäuflich sind. Wenn ich als Künstler etwas mache, muß es mit mir zu tun
haben, dann kommt man um das Authentische nicht herum. Das ist ein anderes Denken,
als das eines Kulturfunktionärs, den die Verwertung eines Produkts beschäftigt.
Aus einem nachgelassenen Gespräch: Störungen
Kathrin Röggla war als Gerichtsschreiberin Embedded in
einem inszenierten Völkerrechtstribunal. Ein Richter und ein Begründer des
Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, der kongolesische Oppositionsführer,
die Soziologin Saskia Sassen, ein Menschenrechtsanwalt, Zeugen und
Gerichtspersonal hielten das Berliner „Kongo-Tribunal“ ab. Tatsächlich kann ein
solches nicht stattfinden, denn Wahrheits- und Versöhnungskommissionen sind
trotz des Wunsches der kongolesischen Bevölkerung nicht möglich. Also
inszenierte man ein „Kongo-Tribunal auf Berliner Theaterbrettern. „Es war
kein reenactment, es handelte sich vielmehr um eine Aufforderung an die
Realität“, ein kleines Theatermonster, das Realitätseffekte erzeugt. „Handelte
es sich um Kunst als „Vorahmung“?“ Überzeugt das Tribunal als aktuelle
Theaterform?
Leben! Benutz mich! Die Schauspielerin des Jahres 2014, Bibiana Beglau, spricht in einem sprühenden Interview mit Frank M. Raddatz über den schmalen Grat der Schauspielkunst zwischen
Mimesis und Authentizität. Beglau schildert die Lust am Spiel über dem Abgrund
der Gefühle und das Sich-Einlassen auf den Irrsinn der Welt. Wesentliches, Hingabe,
Durchhaltevermögen, Eigenverantwortlichkeit, Hybris und Seelenunfälle. Die
Knochen zum Sprechen bringen, den Schmerz spüren, vom Leben gefressen
werden ... Die Grimme-Preis-Trägerin über Texte, die Fleisch
werden, über Bühne und das harte Spiel zwischen Erwachsenen, über Glück, Liebe
und Haß, Tyrannei und Anarchie sowie über letzte Grenzen. Inspirierter und
radikaler Klartext einer unangepaßten Schauspielerin.
Nach
dem Besuch einer Theateraufführung der Gruppe Rimini Protokoll amüsiert
sich Alexander García Düttmann in Teilnahmslose Kunst über eine performative Theaterpraxis, die in der
Teilnahme des Zuschauers und einer damit einhergehenden Reflexion den Weg zur
politischen Veränderung erkennen will. Die Aufführung Hausbesuch Europa
„hat das Vorurteil bekräftigt, das mein Nachdenken über Teilnahme, Politik
und Gegenwartskunst zuvor schon geprägt und mich zum Kauf einer Karte veranlaßt
hatte – den Verdacht, daß in der Gegenwart die künstlerisch-politische
Inszenierung der Teilnahme häufig einem Taschenspielertrick ähnelt. Dieser
Taschenspielertrick besteht darin, daß man in dem Augenblick, in dem man nach
der Kunst fragt, auf die Politik verwiesen, und in dem Augenblick, in dem man
nach der Politik fragt, wiederum auf die Kunst verwiesen wird.“
1977
wird Heiner Müllers Die
Hamletmaschine veröffentlicht. Obwohl lange nicht klärbar schien,
was es mit Müllers komplexen surrealen Bildern auf sich hat, erweist sich die
enorm komplexe Um- und Überschreibung von Shakespeares Original bald als
Welterfolg. Inszenierungen in Paris, Tokio, New York bezeugen den enormen Sog,
der von den wenigen Seiten ausgeht. Robert Wilson bringt den auch formal
innovativen Theatertext ebenso zur Aufführung, wie er Soundlandschaften der
Einstürzenden Neubauten inspiriert oder Wolfgang Rihm zu einer Vertonung
anregt. Ein metaphorischer Blitz fährt in die globale Theaterlandschaft und
löst ein Assoziationsgewitter aus, das seinesgleichen sucht. Frank M. Raddatz analysiert in Sprengung eines Traums die
Genese jener späten Texte Heiner Müllers, die aufgrund ihres nichtdialogischen
Charakters gerne als Mutterboden der Postdramatik ausgewiesen werden. Doch der
Boden ist kontaminiert. Tief ist ihm die Kapitulation vor der Gewalt
eingeschrieben. In Hamletmaschine als Urform postutopischer Ästhetik
manifestiert sich Müllers gescheiterte Hoffnung auf ein absehbares Ende der
Gewalt in der Geschichte und sein Bruch mit der Utopie. Dieser fundamentalen
Fraktur in Müllers Erzählung der Gewalt geht eine lange Auseinandersetzung mit
der Gewalt und ihrer möglichen Überwindung voraus. Von einem Grundschock
sensibilisiert wird anfänglich der Epidemie der Gewalt auch ihre Regulierung
gegenübergestellt; bis der Kampf gegen die Vertierung durch Gewalt einer neuen
Lust an der Gewalt weicht. Die Geschichte erweist sich als Sackgasse und statt
ihrer eröffnet sich ein zukunftsloser Horizont. Mit der Renaissance der
Eiszeit, dem Abschied von der Utopie einer gewaltfreien Welt zerfällt jene
Allianz zwischen Kunst und dem Politischen, die geschichtliche Erwartungshorizonte
im Namen eines auch absoluten Anderen einmal geschmiedet hatten. „Wer in den Spiegel sieht und sich
nicht sieht, ist ein Vampir!“ (Heiner Müller).
BRIEFE, KOMMENTARE, KORRESPONDENZEN
„Irren ist menschlich, darauf beharren teuflisch!“, und dies bezieht der italienische Psychoanalytiker Sergio Benvenuto auf die Postulate des Okzidents. Ein solches Auf-dem-Irrtum-Beharren ist nicht nur der Glauben, das eigene sozialdemokratisch-liberale politische System sei das beste für jedermann auf der Welt, sondern auch die Überzeugung, daß ein jedes Volk, wenn es erst einmal Diktaturen befreit ist, spontan und naturgegeben zur Demokratie und dem laizistischen Liberalismus tendiert. Doch spricht die Geschichte eine andere Sprache, wie die Entwicklungen in Iran, im Irak, Libyen oder Syrien zeigen. „Für Freiheit und Gleichheit muß man kämpfen, in dem Wissen, daß es Utopien sind.“
„Irren ist menschlich, darauf beharren teuflisch!“, und dies bezieht der italienische Psychoanalytiker Sergio Benvenuto auf die Postulate des Okzidents. Ein solches Auf-dem-Irrtum-Beharren ist nicht nur der Glauben, das eigene sozialdemokratisch-liberale politische System sei das beste für jedermann auf der Welt, sondern auch die Überzeugung, daß ein jedes Volk, wenn es erst einmal Diktaturen befreit ist, spontan und naturgegeben zur Demokratie und dem laizistischen Liberalismus tendiert. Doch spricht die Geschichte eine andere Sprache, wie die Entwicklungen in Iran, im Irak, Libyen oder Syrien zeigen. „Für Freiheit und Gleichheit muß man kämpfen, in dem Wissen, daß es Utopien sind.“
„Eine
Insel, in der viele Inseln stecken, eine Insel als Kontinent, die Insel als
Welt, die Insel der Pest und nicht der Vorsehung, Metapher Italiens und
Archetyp Europas. Eine von Gegensätzen bewohnte Insel, in der Natur wie in den
Menschen: üppig oder trocken, vulkanschwarz und meersalzweiß, schweigsam und
beredt, blutrünstig und heroisch, mißgläubig und devot. Eine Insel, die zerrissen
ist von Kriminalität und Zivilcourage, von Todeskult und wahnsinniger
Lebensgier, von Zurückhaltung und Zurschaustellung, von Fluchtbegehren und dem
Ruf zur absoluten Einsamkeit“, so sieht Fabio
Stassi seine Heimat Sizilien und erinnert sich an
ein einschneidendes Ereignis seiner Geschichte.
Der
Journalist Arkadi Babtschenko ist
ein namhafter Kriegsreporter Rußlands; er kämpfte als einfacher Soldat in
Tschetschenien. Sein Bericht Der Tag der Kriegsveteranen schildert das Schicksal von Veteranen der russischen Armee. Sie beziehen
miserable Pensionen – wenn überhaupt. Mit schweren Verletzungen läßt man sie
oft alleine. Ihre Rechte werden mit Füßen getreten. Proteste bringen sie
zumeist ins Gefängnis. Unidentifizierte Tote der Einsätze werden auf Friedhöfen
verscharrt. Die staatlich kontrollierten Medien feiern ihre Heldentaten
pathetisch und beschweigen ihr Elend.
Ein
leidenschaftliches Plädoyer für ein Wiedererblühen des
Mittelmeeres hält Alida
Bremer. Stolz waren die Bewohner des Mittelmeeres auf
seine reiche Geschichte, seine Völkervielfalt, seine Rolle als Zentrum der
antiken Welt, Schnittstelle zwischen Orient und Okzident und als Wiege des
modernen Europas. Doch der Glaube, als Mittelmeeranwohner ein Privileg auf
historische Dauer zu haben war überheblich. Heute ist das Mittelmeer zunehmend
geprägt von Krieg, touristischer Gentrifizierung, Kriminalität und
Fluchtbewegungen. Luxuskreuzfahrtschiffe fahren in die eine Richtung,
Schlauchboote in die andere. Könnte das Mittelmeer wieder zu einem Sehnsuchtsort
werden? Über den Traum von einer besseren Zukunft.
Urvashi Butalia berichtet in Abschied, Selbstmord,
Euthanasie über indische Diskussionen, über den
freiwilligen Tod in der Religionsgemeinschaft der Jains, der im Einklang steht
mit anderen asketischen Praktiken dieser Religion. Diese jahrhundertealte
Praxis ist nun juristisch als gesetzwidriger Selbstmord eingestuft worden.
Butalia über eine breite Debatte, über das Recht auf Leben und die Pflicht zu
leben, über legalen und illegalen freiwilligen Tod und die Macht des Staates
über das Leben.
Michail Ryklin berichtet von den Konsequenzen der internationalen
Wirtschaftsaktionen des Westens gegen Rußland und die Veränderung der
Ernährungslage. Man speist in belagerter Festung, die Politik der Importsubstitution
mündet in verminderter Qualität, sanktionierte Waren finden sich nur auf dem
Schwarzmarkt, die Menschen tarnen ihren wachsenden Zynismus mit gespielter
Naivität: Laben wir uns am Quarkchen.
Wir
wünschen gute Lektüre, einen goldenen Herbst und hoffen, Sie bleiben uns
gewogen!
Mit
unseren besten Grüßen,
Lettre
International
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PPS.
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Amtsgericht Charlottenburg, HRB 28759 B
Geschäftsführer: Frank Berberich
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