Der Arme und der Reiche
Ein Märchen der Brüder Grimm
KHM 87
Vor
alten Zeiten, als der liebe Gott noch selber auf Erden unter den
Menschen wandelte, trug es sich zu, dass er eines Abends müde war und
ihn die Nacht überfiel, bevor er zu einer Herberge kommen konnte. Nun
standen auf dem Weg vor ihm zwei Häuser einander gegenüber, das eine
gross und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und gehörte das
grosse einem reichen, das kleine einem armen Manne. Da dachte unser
Herrgott 'dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen: bei ihm will
ich übernachten.' Der Reiche, als er an seine Türe klopfen hörte, machte
das Fenster auf und fragte den Fremdling, was er suche. Der Herr
antwortete 'ich bitte um ein Nachtlager.' Der Reiche guckte den
Wandersmann von Haupt bis zu den Füssen an, und weil der liebe Gott
schlichte Kleider trug und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der
Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf und sprach 'ich kann Euch nicht
aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich
einen jeden beherbergen, der an meine Tür klopft, so könnte ich selber
den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht Euch anderswo ein Auskommen.'
Schlug damit sein Fenster zu und liess den lieben Gott stehen. Also
kehrte ihm der liebe Gott den Rücken und ging hinüber zu dem kleinen
Haus. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Türchen
auf und bat den Wandersmann einzutreten. 'Bleibt die Nacht über bei
mir,' sagte er, 'es ist schon finster, und heute könnt Ihr doch nicht
weiterkommen.' Das gefiel dem lieben Gott, und er trat zu ihm ein. Die
Frau des Armen reichte ihm die Hand, hiess ihn willkommen und sagte, er
möchte sichs bequem machen und vorlieb nehmen, sie
hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann
setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie
ihre Ziege, damit sie ein wenig Milch dazu hätten. Und als der Tisch
gedeckt war, setzte sich de r liebe Gott nieder und ass mit ihnen, und
schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter
dabei. Nachdem sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, rief die Frau
heimlich ihren Mann und sprach 'hör, lieber Mann, wir wollen uns heute
nacht eine Streu machen, damit der arme Wanderer sich in unser Bett
legen und ausruhen kann: er ist den ganzen Tag über gegangen, da wird
einer müde.' 'Von Herzen gern,' antwortete er, 'ich wills ihm anbieten,'
ging zu dem lieben Gott und bat ihn, wenns ihm recht wäre, möchte er
sich in ihr Bett legen und seine Glieder ordentlich ausruhen. Der liebe
Gott wollte den beiden Alten ihr Lager nicht nehmen, aber sie liessen
nicht ab, bis er es endlich tat und sich in ihr Bett legte: sich selbst
aber machten sie eine Streu auf die Erde. Am andern Morgen standen sie
vor Tag schon auf und kochten dem Gast ein Frühstück, so gut sie es
hatten. Als nun die Sonne durchs Fensterlein schien und der liebe Gott
aufgestanden war, ass er wieder mit ihnen und wollte dann seines Weges
ziehen. Als er in der Türe stand, kehrte er sich um und sprach 'weil ihr
so mitleidig und fromm seid, so wünscht euch dreierlei, das will ich
euch erfüllen.' Da sagte der Arme 'was soll ich mir sonst wünschen als
die ewige Seligkeit, und dass wir zwei, solang wir leben, gesund dabei
bleiben und unser notdürftiges tägliches Brot haben; fürs dritte weiss
ich mir nichts zu wünschen.' Der liebe Gott sprach 'willst du dir nicht
ein neues Haus für das alte wünschen?, 'O ja,' sagte der Mann, 'wenn ich
das auch noch erhalten kann, so wär mirs wohl lieb.' Da erfüllte der
Herr ihre Wünsche, verwandelte ihr altes Haus in ein neues, gab ihnen
nochmals seinen Segen und zog weiter.
Es war schon voller Tag, als der Reiche aufstand. Er legte sich ins Fenster und sah gegenüber ein neues reinliches Haus mit roten Ziegeln, wo sonst eine alte Hütte gestanden hatte. Da machte er grosse Augen, rief seine Frau herbei und sprach 'sag mir, was ist geschehen? Gestern abend stand noch die alte elende Hütte, und heute steht da ein schönes neues Haus. Lauf hinüber und höre, wie das gekommen ist.' Die Frau ging und fragte den Armen aus: er erzählte ihr 'gestern abend kam ein Wanderer, der suchte Nachtherberge, und heute morgen beim Abschied hat er uns drei Wünsche gewährt, die ewige Seligkeit, Gesundheit in diesem Leben und das notdürftige tägliche Brot dazu, und zuletzt noch statt unserer alten Hütte ein schönes neues Haus.' Die Frau des Reichen lief eilig zurück und erzählte ihrem Manne, wie alles gekommen war. Der Mann sprach 'ich möchte mich zerreissen und zerschlagen: hätte ich das nur gewusst! der Fremde ist zuvor hier gewesen und hat bei uns übernachten wollen, ich habe ihn aber abgewiesen.' 'Eil dich,' sprach die Frau, 'und setze dich auf dein Pferd, so kannst du den Mann noch einholen, und dann musst du dir auch drei Wünsche gewähren lassen.'
Der Reiche befolgte den guten Rat, jagte mit seinem Pferd davon und holte den lieben Gott noch ein. Er redete fein und lieblich und bat' er möchts nicht übelnehmen, dass er nicht gleich wäre eingelassen worden, er hätte den Schlüssel zur Haustüre gesucht, derweil wäre er weggegangen: wenn er des Weges zurückkäme, müsste er bei ihm einkehren. 'Ja,' sprach der liebe Gott, 'wenn ich einmal zurückkomme, will ich es tun.' Da fragte der Reiche, ob er nicht auch drei Wünsche tun dürfte wie sein Nachbar. Ja, sagte der liebe Gott, das dürfte er wohl, es wäre aber nicht gut für ihn, und er sollte sich lieber nichts wünschen. Der Reiche meinte, er wollte sich schon etwas aussuchen, das zu seinem Glück gereiche, wenn er nur wüsste, dass es erfüllt würde. Sprach der liebe Gott 'reit heim, und drei Wünsche, die du tust, die sollen in Erfüllung gehen.'
Nun hatte der Reiche, was er verlangte, ritt heimwärts und fing an nachzusinnen, was er sich wünschen sollte. Wie er sich so bedachte und die Zügel fallen liess, fing das Pferd an zu springen, so dass er immerfort in seinen Gedanken gestört wurde und sie gar nicht zusammenbringen konnte. Er klopfte ihm an den Hals und sagte 'sei ruhig, Liese,' aber das Pferd machte aufs neue Männerchen. Da ward er zuletzt ärgerlich und rief ganz ungeduldig 'so wollt ich, dass du den Hals zerbrächst!' Wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump, fiel er auf die Erde, und lag das Pferd tot und regte sich nicht mehr; damit war der erste Wunsch erfüllt. Weil er aber von Natur geizig war, wollte er das Sattelzeug nicht im Stich lassen, schnitts ab, hings auf seinen Rücken, und musste nun zu Fuss gehen. 'Du hast noch zwei Wünsche übrig,' dachte er und tröstete sich damit. Wie er nun langsam durch den Sand dahinging und zu Mittag die Sonne heiss brannte, wards ihm so warm und verdriesslich zumut, der Sattel drückte ihn auf den Rücken, auch war ihm noch immer nicht eingefallen, was er sich wünschen sollte. 'Wenn ich mir auch alle Reiche und Schätze der Welt wünsche,' sprach er zu sich selbst, 'so fällt mir hernach noch allerlei ein, dieses und jenes, das weiss ich im voraus, ich wills aber so einrichten, dass mir gar nichts mehr übrig zu wünschen bleibt.' Dann seufzte er und sprach 'ja, wenn ich der bayerische Bauer wäre, der auch drei Wünsche frei hatte, der wusste sich zu helfen, der wünschte sich zuerst recht viel Bier, und zweitens so viel Bier, als er trinken könnte, und drittens noch ein Fass Bier dazu.' Manchmal meinte er, jetzt hätte er es gefunden, aber hernach schiens ihm doch noch zu wenig. Da kam ihm so in die Gedanken, was es seine Frau jetzt gut hätte, die sässe daheim in einer kühlen Stube und liesse sichs wohl schmecken. Das ärgerte ihn ordentlich, und ohne dass ers wusste, sprach er so hin 'ich wollte, die sässe daheim auf dem Sattel und könnte nicht herunter, statt dass ich ihn da auf meinem Rücken schleppe.' Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war der Sattel von seinem Rücken verschwunden, und er merkte, dass sein zweiter Wunsch auch in Erfüllung gegangen war. Da ward ihm erst recht heiss, er fing an zu laufen und wollte sich daheim ganz einsam in seine Kammer hinsetzen und auf etwas Grosses für den letzten Wunsch sinnen. Wie er aber ankommt und die Stubentür aufmacht, sitzt da seine Frau mittendrin auf dem Sattel und kann nicht herunter, jammert und schreit. Da sprach er 'gib dich zufrieden, ich will dir alle Reichtümer der Welt herbeiwünschen, nur bleib da sitzen.' Sie schalt ihn aber einen Schafskopf und sprach 'was helfen mir alle Reichtümer der Welt, wenn ich auf dem Sattel sitze; du hast mich daraufgewünscht, du musst mir auch wieder herunterhelfen.' Er mochte wollen oder nicht, er musste den dritten Wunsch tun, dass sie vom Sattel ledig wäre und heruntersteigen könnte; und der Wunsch ward alsbald erfüllt. Also hatte er nichts davon als Ärger, Mühe, Scheltworte und ein verlornes Pferd: die Armen aber lebten vergnügt, still und fromm bis an ihr seliges Ende.
Es war schon voller Tag, als der Reiche aufstand. Er legte sich ins Fenster und sah gegenüber ein neues reinliches Haus mit roten Ziegeln, wo sonst eine alte Hütte gestanden hatte. Da machte er grosse Augen, rief seine Frau herbei und sprach 'sag mir, was ist geschehen? Gestern abend stand noch die alte elende Hütte, und heute steht da ein schönes neues Haus. Lauf hinüber und höre, wie das gekommen ist.' Die Frau ging und fragte den Armen aus: er erzählte ihr 'gestern abend kam ein Wanderer, der suchte Nachtherberge, und heute morgen beim Abschied hat er uns drei Wünsche gewährt, die ewige Seligkeit, Gesundheit in diesem Leben und das notdürftige tägliche Brot dazu, und zuletzt noch statt unserer alten Hütte ein schönes neues Haus.' Die Frau des Reichen lief eilig zurück und erzählte ihrem Manne, wie alles gekommen war. Der Mann sprach 'ich möchte mich zerreissen und zerschlagen: hätte ich das nur gewusst! der Fremde ist zuvor hier gewesen und hat bei uns übernachten wollen, ich habe ihn aber abgewiesen.' 'Eil dich,' sprach die Frau, 'und setze dich auf dein Pferd, so kannst du den Mann noch einholen, und dann musst du dir auch drei Wünsche gewähren lassen.'
Der Reiche befolgte den guten Rat, jagte mit seinem Pferd davon und holte den lieben Gott noch ein. Er redete fein und lieblich und bat' er möchts nicht übelnehmen, dass er nicht gleich wäre eingelassen worden, er hätte den Schlüssel zur Haustüre gesucht, derweil wäre er weggegangen: wenn er des Weges zurückkäme, müsste er bei ihm einkehren. 'Ja,' sprach der liebe Gott, 'wenn ich einmal zurückkomme, will ich es tun.' Da fragte der Reiche, ob er nicht auch drei Wünsche tun dürfte wie sein Nachbar. Ja, sagte der liebe Gott, das dürfte er wohl, es wäre aber nicht gut für ihn, und er sollte sich lieber nichts wünschen. Der Reiche meinte, er wollte sich schon etwas aussuchen, das zu seinem Glück gereiche, wenn er nur wüsste, dass es erfüllt würde. Sprach der liebe Gott 'reit heim, und drei Wünsche, die du tust, die sollen in Erfüllung gehen.'
Nun hatte der Reiche, was er verlangte, ritt heimwärts und fing an nachzusinnen, was er sich wünschen sollte. Wie er sich so bedachte und die Zügel fallen liess, fing das Pferd an zu springen, so dass er immerfort in seinen Gedanken gestört wurde und sie gar nicht zusammenbringen konnte. Er klopfte ihm an den Hals und sagte 'sei ruhig, Liese,' aber das Pferd machte aufs neue Männerchen. Da ward er zuletzt ärgerlich und rief ganz ungeduldig 'so wollt ich, dass du den Hals zerbrächst!' Wie er das Wort ausgesprochen hatte, plump, fiel er auf die Erde, und lag das Pferd tot und regte sich nicht mehr; damit war der erste Wunsch erfüllt. Weil er aber von Natur geizig war, wollte er das Sattelzeug nicht im Stich lassen, schnitts ab, hings auf seinen Rücken, und musste nun zu Fuss gehen. 'Du hast noch zwei Wünsche übrig,' dachte er und tröstete sich damit. Wie er nun langsam durch den Sand dahinging und zu Mittag die Sonne heiss brannte, wards ihm so warm und verdriesslich zumut, der Sattel drückte ihn auf den Rücken, auch war ihm noch immer nicht eingefallen, was er sich wünschen sollte. 'Wenn ich mir auch alle Reiche und Schätze der Welt wünsche,' sprach er zu sich selbst, 'so fällt mir hernach noch allerlei ein, dieses und jenes, das weiss ich im voraus, ich wills aber so einrichten, dass mir gar nichts mehr übrig zu wünschen bleibt.' Dann seufzte er und sprach 'ja, wenn ich der bayerische Bauer wäre, der auch drei Wünsche frei hatte, der wusste sich zu helfen, der wünschte sich zuerst recht viel Bier, und zweitens so viel Bier, als er trinken könnte, und drittens noch ein Fass Bier dazu.' Manchmal meinte er, jetzt hätte er es gefunden, aber hernach schiens ihm doch noch zu wenig. Da kam ihm so in die Gedanken, was es seine Frau jetzt gut hätte, die sässe daheim in einer kühlen Stube und liesse sichs wohl schmecken. Das ärgerte ihn ordentlich, und ohne dass ers wusste, sprach er so hin 'ich wollte, die sässe daheim auf dem Sattel und könnte nicht herunter, statt dass ich ihn da auf meinem Rücken schleppe.' Und wie das letzte Wort aus seinem Munde kam, so war der Sattel von seinem Rücken verschwunden, und er merkte, dass sein zweiter Wunsch auch in Erfüllung gegangen war. Da ward ihm erst recht heiss, er fing an zu laufen und wollte sich daheim ganz einsam in seine Kammer hinsetzen und auf etwas Grosses für den letzten Wunsch sinnen. Wie er aber ankommt und die Stubentür aufmacht, sitzt da seine Frau mittendrin auf dem Sattel und kann nicht herunter, jammert und schreit. Da sprach er 'gib dich zufrieden, ich will dir alle Reichtümer der Welt herbeiwünschen, nur bleib da sitzen.' Sie schalt ihn aber einen Schafskopf und sprach 'was helfen mir alle Reichtümer der Welt, wenn ich auf dem Sattel sitze; du hast mich daraufgewünscht, du musst mir auch wieder herunterhelfen.' Er mochte wollen oder nicht, er musste den dritten Wunsch tun, dass sie vom Sattel ledig wäre und heruntersteigen könnte; und der Wunsch ward alsbald erfüllt. Also hatte er nichts davon als Ärger, Mühe, Scheltworte und ein verlornes Pferd: die Armen aber lebten vergnügt, still und fromm bis an ihr seliges Ende.
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