Sonntag, 15. Juli 2012

Nachtrag zu "Madame de Staël"


Zu Madame de Staël passt ein Zitat, das den geistig-historischen Hintergrund kurz beleuchtet; diese Person soll nicht nur literarisch verstanden und gedeutet werden; das Zitat ist aus Friedrich Heer: Europäische Geistesgeschichte. Kohlhammer, Stuttgart 1953, Seite 525

Eine andere Möglichkeit der Schwärmerbewegung zeigt Madame de Staël und ihre Umgebung auf Schloß Coppet an: diese Tochter des Finanzministers Necker, der sich ebenfalls mystizistischen Spekulationen ergibt, erhebt ihr Schloß zu einem permanenten „Kongreß der Religionen“; Katholiken, Böhmisten, Theosophen usw., vor allem aber die deutschen Schwärmer und Romantiker treffen sich hier mit ihren französischen Brüdern. Coppet wird so zum Zentrum des „Liberalismus“ und der Romantik; aus dem „Geist“, der in „Begeisterungen“ und Séancen erfahren wird, wird hier der Geist der Literatur und Literaturkritik. (Auch Frau von Krüdener [jene Baronin, die im Zaren Alexander den Heilsführer und Weltbefreier sah] hatte als Romanschreiberin und Verehrerin Jean Pauls begonnen.) In Coppet finden sich A. W. Schlegel und Zacharias Werner ein, bei dem man den ganzen Haß Goethes wider die Romantik verstehen lernen kann. Werner, der spätere Konservative und Konvertit, stammt aus Königsberg, der Heimat Hamanns und Hoffmanns; seine Mutter hält sich für die hl. Maria, er selbst verehrt Novalis als Heiligen und verkündet eine Union von Katholizismus, Freimaurerei, allen Wissenschaften und schönen Künsten. Alle Mythologien der Geschichte sollen in der Einen Kirche sich finden. Frau von Staël stellt in ihrem Buch „de l’Allemagne“ Werner dem französischen Publikum als Mystiker und großen Dichter vor. In Coppet läuft die Schwärmerbewegung in Rede, Schreibe, Literatur aus. Die Blut-, Todes- und Untergangsvisionen der deutschen Romantiker weisen aber noch auf den später sorgfältig verdeckten revolutionären Untergrund hin, der nun als „Unterbewußtsein“, als „Genie“ individualisiert und als „Heldentum“ egozentgrisch dramatisiert wird. Nicht sleten werden nun aus den „linksliberalen“ politischen Schwärmern und Utopisten der Revolution rechtsradikale Absolutisten, Theoretiker der Theokratie und des „Faschismus“.


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